Übermorgen beginnen die Mannschafts-Welttitelkämpfe in Halmstad. Man trifft sich im Land des Weltmeisters des Jahres 2000, dem eine schier endlose Alleinherrschaft Chinas folgte, die das Herren-Team des Deutschen Tischtennis-Bundes nun brechen möchte.
Deutscher Gruppensieg gilt als Pflicht
Die vier Gruppensieger der „Championships Division“ ziehen direkt ins Viertelfinale ein und sparen somit Kräfte, die Zweit- und Drittplatzieren müssen sich dagegen im Achtelfinale bewähren. Die Gruppengegner von Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov und Kollegen sind Gastgeber Schweden, Hongkong, Ägypten, Rumänien und Slowenien.
Hongkong mit dem Weltranglistensiebten Wong Chun Ting gilt allgemein als härtester Konkurrent Deutschlands um den Gruppensieg, doch sollte auch der Gastgeber – mit den Düsseldorfern Kristian Karlsson und Anton Källberg sowie Mattias Karlsson, Truls Möregardh und Jon Persson – nicht auf die leichte Schulter genommen werden.
Am Montagabend kommt es zum Duell mit Schweden, tags darauf kreuzt man die Klingen mit Hongkong. Die Auftaktaufgabe am Sonntagmittag gegen Ägypten sollte – Omar Assar hin oder her – für die deutschen Asse keine allzu hohe Hürde darstellen.
„Eine Setzung gewinnt noch keine Medaille“
Die DTTB-Auswahl ist erstmals in der Tischtennisgeschichte bei einer WM an Position eins und damit vor China gesetzt, was natürlich nicht zuletzt dem neuen Weltranglisten-System geschuldet ist. Die Poleposition ist Ermutigung und Bürde zugleich – je nachdem, wie man mit der Herausforderung umgeht. Und natürlich ist DTTB-Sportdirektor Richard Prause unbedingt zuzustimmen, der klarstellt: „Eine Setzung gewinnt noch keine Medaille.“
Seit 2010 hat Deutschland dreimal ein WM-Endspiel erreicht. Vor zwei Jahren in Kuala Lumpur musste das Team von Jörg Roßkopf den Titel des Vizeweltmeisters allerdings an Japan abtreten. In Halmstad sind die Erwartungen groß. Timo und Dima sowie deren Mitstreiter Patrick Franziska, Ruwen Filus und Bastian Steger wollen mindestens ins Finale, ja eigentlich sogar den Giganten vom Thron stürzen.
Der Anspruch, ganz oben ein gewichtiges Wort mitzureden, erhielt unter anderem Nahrung durch das ITTF-Ranking, an dessen Spitze sich Ovtcharov und Boll im ersten Quartal 2018 tummelten – erst im April konnte Fan Zhendong die Verhältnisse „geraderücken“. Ferner basiert ein gewisser Optimismus auf dem Umstand, dass sich die chinesischen Topstars in der zweiten Jahreshälfte 2017 nicht immer in Bestform präsentierten.
„Erst einmal müssen wir es bis zu einem Duell mit China schaffen“, warnt jedoch Timo Boll. „Das ist ein schwerer Weg und ein langes Turnier, bei dem viel passieren kann.“
Was kann Dima Ovtcharov in Halmstad leisten?
Ein Fragezeichen steht auch hinter Dimitrij Ovtcharov, der zwar spielen wird, doch ist schwer einzuschätzen, wo dieser nach seiner dreiwöchigen Verletzungspause – verbunden mit entsprechendem Trainings- und Wettkampfrückstand – im Moment steht. Was wird der Weltranglistendritte in Halmstad zu leisten imstande sein, wird es ihm bereits wieder möglich sein, an seine Grenzen zu gehen? Ein Boll allein reicht eben keinesfalls, um China zu beeindrucken.
„Wenn wir über das ganz große Ding sprechen, dann brauchen wir einen Ovtcharov in 100-prozentiger Form, einen Boll in 100-prozentiger Form und alle anderen in 100-prozentiger Form“, gibt der Odenwälder in Düsseldorfer Diensten unmissverständlich zu Protokoll. Dass Dima imstande ist, viel Adrenalin zu mobilisieren, wenn es um große Ziele geht, ist bekannt. Doch Adrenalin allein reicht nicht, um am Stuhl des Abo-Weltmeisters zu sägen, vor dem Boll großen Respekt hat. „Man sollte die Chinesen nie unterschätzen und erst recht nicht abschreiben“, so die 37-jährige Tischtennis-Ikone. „Mit Ma Long und Fan Zhendong haben sie ihre Basis. Die sind so außergewöhnlich gut, dass selbst ein Topspieler wie Xu Xin dagegen schwächer erscheint. Aber auch gegen die zweite Garde hätten wir es sicher schwer.“
Setzt sich Bolls „WM-Fluch“ fort?
Für Boll selbst ist WM-Gold ein bis heute unerfüllter Traum. Er gewann bereits 17 Europameister-, zwei World-Cup- und mit seinen Vereinsmannschaften fünf Champions-League-Titel. Nur Tischtennis-Weltmeister ist er eben noch nie geworden. „Ich hätte den WM-Titel schon mal gerne gewonnen und möchte ihn noch immer gerne gewinnen“, sagte Boll vor wenigen Tagen der dpa im Interview. Doch der Ausnahmespieler stellte auch klar, dass keineswegs sein Denken komplett darauf fokussiert ist. Der fehlende WM-Titel „ist eine Lücke in der Statistik, aber keine Lücke in meiner Erfüllung“, so Boll.
Damen-Auswahl peilt Achtelfinale an
Weit weniger ambitioniert ist die Ausgangslage bei den DTTB-Damen, die Setzposition elf einnehmen. Ohne die bei der WM nicht spielberichtigten Han Ying und Shan Xiaona wäre es blanker Irrsinn, vom Titel zu träumen. Selbst mit den beiden wäre das illusionär.
In Gruppe D bekommt man es mit Hongkong, Südkorea, Thailand, Brasilien und Luxemburg zu tun. Sabine Winter, Petrissa Solja, Kristin Lang, Nina Mittelham und Wan Yuan haben sich Rang drei in der Gruppe und somit das Erreichen des Achtelfinales zum Ziel gesetzt. Hongkong und Südkorea sind die eindeutigen Favoriten in der Gruppe, doch der dritte Rang erscheint sehr realistisch.
Das Auftakt-Match am Sonntagvormittag gegen Brasilien sollte jedenfalls unbedingt gewonnen werden. Am Abend gegen die an fünf gesetzten Koreanerinnen, die sicher mit Jeon Jihee, Suh Hyowon und Yang Haeun in die Box gehen werden, wird es dann aber richtig schwer.
„Die Situation ist ähnlich schlecht wie vor der EM, vielleicht sogar noch schlechter“, zieht Jie Schöpp einen Vergleich zum vergangenen Jahr. Im September 2017 in Luxemburg holten die deutschen Damen trotzdem Silber und zeigten ansprechende Leistungen. Doch eine EM ist qualitativ mit einer WM nicht im Mindesten vergleichbar – und das ist natürlich auch der Bundestrainerin bewusst. 2016 in Kuala Lumpur wurde die DTTB-Auswahl immerhin Fünfter, eine Wiederholung wäre sensationell. Helfen könnte, dass kaum jemand Heldentaten von der Mannschaft erwartet und der Druck entsprechend gering ist. Der Fokus der Öffentlichkeit liegt eben eindeutig auf dem Herren-Team.
Die Spiele der deutschen Herren-Mannschaft im Überblick
29.04., 13:00 Uhr: Deutschland – Ägypten
30.04., 10:00 Uhr: Deutschland – Rumänien
30.04., 19:00 Uhr: Deutschland – Schweden
01.05., 16:00 Uhr: Deutschland – Hongkong
02.05., 19:00 Uhr: Deutschland – Slowenien
Die Spiele der deutschen Damen-Mannschaft im Überblick
29.04., 10.00 Uhr: Deutschland – Brasilien
29.04., 20.00 Uhr: Deutschland – Südkorea
30.04., 16.00 Uhr: Deutschland – Hongkong
01.05., 10.00 Uhr: Deutschland – Luxemburg
01.05., 19.00 Uhr: Deutschland – Thailand
Den Zeitplan, die Auslosungen, alle Ergebnisse sowie den Livestream findet man auf www.ITTF.com.
Text & Fotos (4): Dr. Stephan Roscher