Das Form-Barometer beim chinesischen Olympiakader zeigt momentan unterschiedliche Tendenzen.
In rund 6 Wochen beginnen bei den Olympischen Spielen in London die Tischtennis-Wettbewerbe im EcCel Exhibiton Centre, einem im Jahr 2000 eröffneten Messegelände in den Docklands im Londoner Osten.
Es werden 172 Athleten aus aller Welt teilnehmen. Im Blickpunkt der zentralen Aufmerksamkeit werden natürlich die chinesischen Topstars stehen. Grund genug, ihre aktuelle Form zu analysieren. Hier fallen bei Ma Long, Wang Hao und Zhang Jike aktuell deutlich unterschiedliche Situationen auf.
Die ersten Medaillen haben die Superstars aus China schon vor Start der Titelkämpfe verloren, denn der Internationale Tischtennie Verband (ITTF) konnte durchsetzen, dass zum ersten Mal nur noch zwei Athleten pro Nation im Einzelwettbewerb teilnehmen dürfen, nachdem die chinesischen Damen und Herren bei Olympia 2008 die maximale Anzahl von 6 Medaillen im Einzel gewinnen konnten.
Diese Einschränkung wird nicht von allen uneingeschränkt unterstützt, denn vielfach ist die Meinung, dass die Besten der Welt antreten und gewinnen sollen und nicht künstlich ein nicht-chinesischer Medaillengewinner auf das Siegerpodest gehievt werden soll. Wenn die Chinesen die Besten unserer Sportart sind, dann sollen sie auch nicht um den Lohn ihrer Arbeit, eine olympische Medaille betrogen werden, denn egal wer diese dritte Medaille gewinnen wird, die aktuelle Nr. 2 und Nr. 3 der Weltrangliste, die beide nicht im Einzelwettbewerb starten dürfen, werden sich sicher sein, dass sie beide eigentlich stärker sind.
Wie immer ist China zum Siegen verdammt, alles andere als rein chinesische Olympiafinals gleicht einem Betriebsunfall. Aufgrund der Tatsache, dass bei den Damen und Herren jeweils nur noch 2 Athleten im Einzel antreten dürfen, wächst natürlich auch der Druck auf diese Athleten.
Zeigen die Chinesen etwa im Vorfeld schon Nerven?
In den letzten 4 Wochen fanden die Japan Open in Kobe, China Open in Shanghai und Korea Open in Incheon City statt, außerdem die Welt-Olympiaqualifikation in Doha (Qatar). Die Leistungen der drei chinesischen Spieler des Olympiakaders waren in dieser Zeit durchaus wechselhaft.
Ma Long:
Dass der damalige Weltranglistenerste und aktuelle Zweite Ma Long nicht an dieser Welt-Qualifikation teilnehmen mußte, konnte er drei Wochen zuvor bei der Asiatischen Olympia-Qualifikation gerade nochmal abwenden.
Ma Long zeigte Nerven und verlor sensationell gegen den 17-jährigen Japaner Koki Niwa mit 1:4 (9:11, 6:11, 11:7, 7:11, 5:11). Er konnte sich von diesem Schock erholen und löste im nächsten Anlauf das Olympiaticket mit einem ungefährdeten Sieg gegen Indiens Nr.1, Sharath Kamal Achanta.
Diese Niederlage hat allerdings ihre Spuren hinterlassen, denn am 19.05.2012 passierte erneut etwas Undenkbares, als Ma Long völlig überraschend im Achtelfinale der Korea Open gegen den Lokalmatador Lee Sang Su verlor. Ma Long verlor fast alle knappen Sätze und unterm Strich stand eine 1:4 Niederlage (6:11, 9:11, 13:11, 9:11, 9:11).
Diese beiden Niederlagen kosteten ihn letztendlich nicht nur seine Führung in der Weltrangliste, sondern auch gewaltig an Selbstvertrauen.
Vielleicht war es für Ma Long die beste Chance, diese Krise zu verarbeiten, bei den China Open direkt eine Revanche zu bekommen. Im Achtelfinale kam es erneut zum Aufeinandertreffen mit Jugend-Weltmeister Koki Niwa. Das Spiel war hart für Ma Long, er verlor direkt den ersten Satz, konnte aber die nächsten beiden gewinnen, um aber sofort wieder den 2:2 Satzausgleich zulassen zu müssen. Aber dann kam der Weg aus der Krise, denn Ma Long überstand diese kritische Situation bravourös und konnte die beiden folgenden Sätze überdeutlich mit 11:5 und 11:2 gewinnen.
Auch im Viertelfinale wartete mit Chuang Chih-Yuan ein bärenstarker WRL-TOP-10 Spieler, den er sicher mit 4:1 schlagen konnte.
Als dann auch noch im Halbfinale der dreifache Einzel-Weltmeister Wang Liqin mit 4:0 dran glauben mußte, war die Krise überstanden, da lies sich auch die 2:4 Niederlage gegen den Weltranglisten-Dritten Xu Xin im Finale verschmerzen.
Bei den Japan Open und bei den aktuell laufenden Brazil Open hatte Ma Long genauso wenig wie seine anderen Teamkameraden gemeldet, da das chinesische Topteam für ein Olympia-Trainingslager in Xiamen „kaserniert“ wurden.
Wang Hao:
Auch Wang Hao gab Anlass zur Sorge.
Zwar gewann er bei den Korea Open seine Auftaktpartie gegen Li Hu aus Singapur mit 4:0 und siegte im Anschluss sowohl gegen den Olympiasieger von 2004, Ryu Seung Min aus Korea im Achtelfinale mit 4:2, wie auch gegen seinen Nationalmannschaftskollegen und Olympiasieger von 2008, Ma Lin, im Viertelfinale mit demselben Ergebnis, doch die Fortsetzung seiner schwarzen Serie gegen Zhang Jike lässt keine große Hoffnung aufkommen, dass für ihn 2012 in London mehr rausspringen könnte als 2004 in Athen und 2008 in Peking, als er sich beides Mal mit Silber im Herreneinzel begnügen mußte. Da ist auch sein Olympiasieg mit dem Team 2008 und eine sehr wahrscheinliche Titelverteidigung in London ein geringer Trost.
Ein auf den ersten Blick völlig überraschendes Achtelfinal-Aus ereilte Wang Hao dann bei den nachfolgenden China Open. Er unterlag mit 3:4 und im entscheidenden 7. Satz mit 12:14 gegen Jiang Tianyi aus Hongkong. Doch einerseits tat sich Wang Hao immer wieder gegen die Hongkong-Chinesen Tianyi und Tang Peng schwer, da diese sich zunehmend auf sein Spielsystem einstellen konnten und andererseits relativierte Jiang Tianyi seinen Sieg selber direkt nach Spielbeginn. Er äußerte sich: „Ich hatte relativ viel Glück und Wang Hao hatte vermutlich gesundheitliche Probleme. Seine Leistung gegen mich war nicht gut. Trotzdem ist es etwas Besonderes gegen chinesische Topspieler zu gewinnen und das steigert mein Selbstbewußtsein und mein Befinden jetzt so kurz vor Olympia.“
Wang Hao quälte sich nach dieser Einzelniederlage noch durch den Doppelwettbewerb. Schon am Vormittag vor seinem Einzel-Achtelfinale gewannen Wang Hao / Ma Long lediglich mit 4:3 gegen die Schweden K.Karlsson / M.Karlsson. Schon in diesem Spiel war es offensichtlich, dass etwas nicht stimmte. Unter Schmerzen setzte sich Wang Hao dann mit Ma Long auch noch im Halbfinale gegen Wang Liqin / Xu Xin und im Finale gegen Ma Lin / Zhang Jike durch.
Zu anschließenden Interviews konnte Wang Hao nicht erscheinen. Sein Doppelpartner Ma Long bestätigte: „Wang Hao fühlt sich körperlich sehr unwohl, was auch sicherlich seine Leistung im Einzel beeinflusst hat.“
Wang Hao wurde ins Krankenhaus eingeliefert, wo bei ihm eine Magen-Darm-Entzündung und eine Reizung des Blinddarms festgestellt wurde. Nationaltrainer Liu Guoliang bestätigte, dass Wang Hao unter großen Bauchschmerzen litt.
Liu Guoliang äußerte sich zu der Situation folgendermaßen: „Wang Hao hat mich während des Turnieres über Magenprobleme informiert. Das kam sehr unerwartet und eine Untersuchung im Krankenhaus mußte Gewissheit bringen.“
Der Nationaltrainer wollte aber nicht alleine gesundheitliche Gründe für die Einzel-Niederlage Wang Haos gelten lassen: „Natürlich war er eingeschränkt und konnte sich nicht unbeschwert bewegen. Aber es war auch zu erkennen, dass er im Spiel sich bietende Chance nicht nutzen konnte und das war auch ein maßgeblicher Grund für seine Niederlage. Es ist aber gar nicht so schlimm, vor Olympischen Spielen auch mal ein Einzel zu verlieren. Darüber hinaus ist Jiang Tianyi ein ehemaliger chinesischer Jugend-Nationalspieler und beide kennen sich gut. Dazu muss man anerkennen, dass Jiang Tianyi eine erstklassige Leistung gezeigt hat.“
Zhang Jike:
Immerhin ein Spieler des Olympiakaders gibt seinem Nationaltrainer Liu Guoliang keinen Anlass zur Sorge. Einzel-Weltmeister Zhang Jike, auch aktueller Weltranglistenerster, spielt seit zwei Jahren relativ stabil.
Bei den Korea Open siegte Zhang Jike nacheinander gegen Tang Peng (Hongkong, 4:1), Lee Jungwoo (Korea, 4:0), im Viertelfinale gegen Jörgen Persson (Schweden, 4:2), im Halbfinale gegen Wang Hao China, 4:2) und im Finale gegen Xu Xin (China, 4:3) in einem hochklassigen Spiel mit 12:10 im siebten entscheidenen Satz.
Zu einer Neuauflage dieses Spieles kam es bei den China Open schon im Halbfinale, wo er gegen Xu Xin mit 2:4 verlor, der auch das Finale gegen Ma Long mit 4:2 gewinnen konnte. In den Runden zuvor konnte sich Zhang Jike gegen Wong Chung Ting (Hongkong, 4:1) und Cho Eon Rae (Korea, 4:1) deutlich durchsetzen, ehe er im Viertelfinale vom starken Koreaner Seo Hyun Deok geprüft wurde. Doch auch hier konnte Zhang Jike mit 4:2 gewinnen, der ihn aber mit alleine vier Sätzen in der Verlängerung gut forderte. Im Viertelfinale setzte sich Zhang Jike dann mit 4:1 gegen Japans Star Jun Mizutani durch, ehe das Aus gegen den an diesem Wochenende überragenden Xu Xin kam.
Wenn man bei Zhang Jike überhaupt Probleme finden will, könnte man höchstens kürzlich verlorene Doppel in chinesisch-internen Vergleichen anführen, aber das gleicht eher „Jammern auf höchstem Niveau“.
In der Form der letzten zwei Jahre, muss man Zhang Jike als Topfavorit auf den Olympiasieg im Herren-Einzel sehen, zumal sein härtester Widersacher Ma Long nur im Teamwettbewerb antreten darf und im Einzel nicht startberechtigt ist.
Siehe auch:
CHINA-NEWS: Liu Guoliang über die chinesische Olympiavorbereitung
CHINA-NEWS: Dreifacher Einzel-Weltmeister Wang Liqin hilft Ma Long als Mentor