In exakt einer Woche feiert Wang Liqin seinen 34. Geburtstag. Für einen chinesischen Nationalspieler fast schon ein „biblisches“ Alter.
Mittlerweile hat sich die Position des Weltmeisters im Herren-Einzel von 2001, 2005 und 2007 im Team geändert. Er liebt es immer noch, Athlet zu sein, aber mittlerweile nehmen Aktivitäten abseits des TT-Tisches immer mehr Raum in seinem Leben ein.
Trotzdem ist er ein sehr wertvolles Team-Mitglied der chinesischen Nationalmannschaft und möchte insbesondere für Ma Long als Mentor da sein.
Die Erfolge von Wang Liqin, der im Alter von 6 Jahren mit Tischtennisspielen begonnen hatte und mit 15 Jahren Mitglied der chinesischen Herren-Nationalmannschaft wurde, machen ihn zu einem der größten Tischtennisspieler aller Zeiten. Ausser seinen drei Weltmeistertiteln im Herren-Einzel, wurde er im Jahr 2000 in Sydney Doppel-Olympiasieger mit Yan Sen, gewann Olympiagold mit dem chinesischen Herrenteam in Peking 2008, außerdem gewann er dort und vier Jahre zuvor in Athen im Herren-Einzel jeweils Bronze.
Insgesamt wurde er 11-facher Weltmeister im Einzel, Doppel, Mixed und mit dem Team, gewann dreimal das ITTF Pro Tour Grand Final und siegte in über 20 Pro Tour Events. Seit Jiang Jialiang ist es nur Wang Liqin gelungen, seinen Weltmeistertitel im Herren-Einzel zu verteidigen.
Wang Liqin führte insgesamt fast 6 Jahre lang die Weltrangliste als Erster an, dabei stand er zum jeweiligen Jahreswechsel im Januar 2000, Januar 2001 und Januar 2002 (durchgängig Nr. 1 von Mitte/Ende 1999 bis September 2002) auf Platz 1 der WRL, genauso wie im Januar 2005, Januar 2006, Januar 2007 (durchgängig Nr. 1 von Mai 2004 bis Februar 2007, mit Ausnahme vom Dezember 2004, plus Juni 2007).
Rund 280 Wochen (70 Monate) auf Platz 1 der Weltrangliste ist schon mehr als eindrucksvoll. Nicht weniger beeindruckend ist die Tatsache, dass Wang Liqin im Jahr 1997 erstmals auf Platz 14 der Weltrangliste geführt wurde (1 Vladimir Samsonov, 2 Kong Linghui, 3 Zoran Primorac, 4 Jan-Ove Waldner, 5 Liu Guoliang), mit großer Konkurrenz aus den eigenen Reihen mit den Altstars Wang Tao (6), Ding Song (8) und Ma Wenge (10), den jüngeren Kong Linghui (2) und Liu Guoliang (5) und dem nachrückenden Ma Lin (21) und er dann im Jahr 1998 erstmals in die TOP-10 der Weltrangliste vorgestossen ist und Ende 1998, hinter Liu Guoliang (1), Vladimir Samsonov (2) und Kong Linghui (3) auf Platz 4 geführt wurde. Seit 1998 bis aktuell 2012, fast 15 Jahre lang, ist Wang Liqin ununterbrochen in den TOP-10 der Weltrangliste (Juni 2012, Platz 9) und er wird wohl in absehbarer Zeit auch nur aus den TOP-10 rausfallen, da er nicht mehr so viele Einsätze haben wird.
Der großgewachsene Chinese mit dem kraftvollen spektakulären Spiel, der zu seiner besten Zeit als einer der wenigen Topspieler des chinesischen Nationalteams mit der Shakehandhaltung spielte, im Gegensatz zum Beispiel zu Ma Lin und Wang Hao, gilt als der athletischste Spieler in der Welt und nach früheren gelegentlichen Problemen mittlerweile auch als einer der nervenstärksten überhaupt. Unvergessen bleibt das WM-Finale 2007 in Zagreb, als Wang Liqin nach einem 1:3 Satzrückstand beim Stand von 1:7 im fünften Satz in einer unnachahmlichen Art noch das Spiel gegen Ma Lin drehen konnte und sich mit seinem 4:3 Sieg seinen dritten Einzelweltmeistertitel sichern konnte.
Mittlerweile ändern sich nach und nach die Prioritäten für Wang Liqin. So gerne er auch noch selber spielt, im Laufe der Zeit hat sich seine Stellung im Team geändert und er gehört nicht mehr zu den TOP-5 Spielern im chinesischen Nationalteam. Als ältester (Jahrgang 1978) der „alten Garde“ mit Ma Lin (1980) und Wang Hao (1983), muss er sich öfters mit der Rolle als Zuschauer zufrieden geben, denn die Zukunft gehört den jungen chinesischen Spielern, die alle mindestens ein Jahrzehnt jünger sind als Wang Liqin, wie der aktuelle Einzelweltmeister Zhang Jike (1988), Ma Long (1988) und Xu Xin (1990), die im Juni 2012 die Plätze 1, 2 und 3 in der Weltrangliste belegen.
Während das Publikum Wang Liqin vorher bei den China Open als Spieler in der Box sehen konnte, muss man sich jetzt immer mehr an den Anblick gewöhnen, Wang Liqin in der Rolle als Funktionär für das Shanghai Table Tennis & Badminton Center zu sehen, für das er seit September 2009 Als Assistenz-Direktor tätig ist. Außerdem ist er stellvertretender Vorsitzer des Tischtennisverbandes von Shanghai und ein Mitglied der ITTF Athletes Commission. Darüber hinaus studiert Wang Liqin an der Shanghai Jiaotong University.
Sportlich beschränkt sich seine Rolle zunehmend auf die des Sparringspartners, wie jetzt aktuell für das chinesische Olympiateam 2012. Wang Liqin betont aber, dass er trotz anderweitiger Engagements, weiterhin bemüht sein wird, ein auf höchstem Niveau konkurrenzfähiger Athlet zu sein.
Da man Wang Liqin mehr und mehr als Zuschauer oder in anderer Funktion wahr nimmt, hat sich vermutlich auch seine eigene Wahrnehmung nach und nach geändert. Seit 2011 hat Wang Liqin innerhalb der chinesischen Nationalmannschaft die Rolle des Mentors für die jüngeren Spieler übernommen.
Seine Erfahrung ist von unschätzbarem Wert und Wang Liqin selber sagt: „Mein Team braucht mich und es ist meine Pflicht, als Berater und Mentor zur Verfügung zu stehen.“
Bei der WM 2012 in Dortmund war Wang Liqin nicht als Spieler aktiv, aber er war trotzdem als fester Bestandteil mit im Team in Deutschland vor Ort und hinter den Kulissen tätig.
In Dortmund nahm Wang Liqin auch am Treffen der ITTF Athletes Commission teil. Er war hauptsächlich in Anträgen, Vorschlägen und Anliegen von Athleten involviert, betreffend Reformen beim Spielmaterial.Wang Liqin äußerte sich, dass er selber zukünftig an verschiedenen Management- und Sprachkursen teilnehmen möchte, um sich mit den verschiedenen Parteien und Personen besser verständigen zu können.
Ein besonderes Anliegen ist es für Wang Liqin, seinem jungen Nationalmannschaftskameraden Ma Long zu helfen, für den er auch persönlicher Mentor sein möchte.
Ma Long erlitt immer mal wieder Niederlagen gegen nominell schwächere Gegner. Insbesondere im Hinblick auf Olympia 2012 in London, möchte Wang Liqin die Initiative ergreifen, Gespräche mit Ma Long zu führen: „Ma Long hat noch nie an Olympischen Spielen teilgenommen. Ich habe 2000, 2004 und 2008 dreimal in Folge an Olympia teilgenommen, ich habe viele Gedanken, die ich mit ihm teilen möchte.“, sagte Wang Liqin.
Wang Liqin weiß, wovon er spricht. Auch er erlitt in jungen Jahren völlig unerwartete Niederlagen, wie zum Beispiel bei einer Weltmeisterschaft im Teamwettbewerb gegen den Rumänen Andrei Filimon. Er wurde daraufhin vom Nationaltrainer auf die Tribüne verbannt und kam nicht mehr zum Einsatz, um bei der selben WM dann Weltmeister im Einzel zu werden.
Ähnlich wie Ma Long, galt er lange als sehr zurückhaltend. Der ehemalige Trainer der chinesischen Herren-Nationalmannschaft, Shi Zhihao, sagte über Wang Liqin seinerzeit: „Er ist ein sehr cleverer, fleißiger und strebsamer Spieler, aber er ist ein bisschen introvertiert.“
Shi Zhihao sagte über den jungen Wang Liqin damals auch, dass seine mentale Stärke seine „Achillesferse“ ist wenn irgendetwas Unerwartetes passiert, das habe sich als größte Hürde auf Wang Liqins Weg zum Besten der Welt heraus kristallisiert.
Bei einem internen Wettbewerb der Nationalmannschaft für Olympia 2004 in Athen, wurde er zum Opfer seiner Nerven. Als ihm mitten im Spiel sein Schläger brach, nutzte ihm selbst eine 15-minütige Unterbrechung nichts, um sich an den Ersatzschläger zu gewöhnen. Seine Form brach schlagartig ein und er verlor völlig chancenlos den Entscheidungssatz.
Wang Liqin sagte damals selber: „Wenn ich genügend Zeit bekomme, werde ich dieses Problem in den Griff bekommen. Manchmal bekomme ich nur schwer ein Gefühl für ein Spiel, das ist mein größter Nachteil. Ich muss in meinen täglichen Trainingseinheiten und Wettkämpfen hart dafür arbeiten, um das zu verbessern.“
Seine Bemühungen zahlten sich aus, als er bei den Team-Weltmeisterschaften in Doha (Qatar) in seinem Viertrundenspiel im K.O.-System auf Werner Schlager traf, gegen den er noch ein Jahr zuvor bei der WM in Paris verloren hatte. Zu Beginn des Spieles brach Wang Liqins Schläger erneut, was zum Verlust der ersten beiden Sätze führte. Doch Wang Liqin fand seine Fassung wieder und drehte das Spiel noch zu einem 3:2 Sieg.
Sein Coach Liu Guoliang sagte, dass dies ein Wendepunkt in Wang Liqins Karriere war: „Ich denke Wang Liqin hat mit seiner aktuellen Form einen der Höhepunkte seiner Karriere erreicht. Aber um auf größere Herausforderungen wie Olympia besser vorbereitet zu sein, muss er aggressiver spielen und er muss sich vor allem schneller umstellen, wenn er mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Er hat eine große Chance, Olympiasieger zu werden und seine Fähigkeiten stehen ausser Zweifel. Er kann jeden Gegner auf der Welt schlagen, wenn alles gut läuft.“
Diese persönliche Entwicklung, die Parallelen zur Situation und der introvertierten Art von Ma Long, machen Wang Liqin zum idealen Berater und Mentor für Ma Long, dem bei Weltmeisterschaften, World Cup und mangels Teilnahme auch bei Olympischen Spielen bislang noch der ganz große Einzeltitel auf Weltebene fehlt.
Vielleicht kann ihm Wang Liqin helfen, den ganz großen Durchbruch zu erreichen, denn ohne Zweifel ist Ma Long einer der Besten der Welt, steht seit März 2007 in den TOP-10 der Weltrangliste und war das gesamte Jahr 2010 ununterbrochen die Nr. 1 der WRL, hatte in der Folgezeit mit einer Verletzung zu kämpfen, war dann wieder von Oktober 2011 bis Mai 2012 Weltranglistenerster und verlor den „Platz an der Sonne“ nach zwei völlig überraschenden Niederlagen bei der asiatischen Olympiaqualifikation im April in Hongkong mit 1:4 gegen Koki Niwa (Japan) und bei den Korea Open im Mai in Incheon City mit 0:4 gegen Lee Sang Su (Korea). Ähnliche Krisen „auf höchstem Niveau“ hat auch Wang Liqin in jungen Jahren durchgemacht.
Auch wenn es nach wie vor beeindruckend ist, das spektakuläre Power-Tischtennis von Wang Liqin zu beobachten, in Kürze wird Wang Liqin 34 Jahre alt und seine mittlerweile zahlreichen Verpflichtungen über die eigene Spielerkarriere hinaus lassen vermuten, dass er seine aktive Laufbahn in absehbarer Zeit beenden wird, auch wenn es für ihn jetzt erst einmal ins Trainingslager mit der chinesischen Nationalmannschaft geht.
Darüber hinaus ist er seit einiger Zeit in einer festen Beziehung mit Liu Yanchi, einer 24-jährigen bekannten Nachrichtensprecherin in Shanghai und ehemaligen Film-Absolventin der Sichuan Normal University, die einen immer größeren Mittelpunkt im Leben Wang Liqins einnimmt. Beide haben sich bei einer Fernsehübertragung kennen gelernt, bei der sie moderiert hat und er Gast war und von ihr interviewt wurde. Es war sozusagen Liebe auf den ersten Blick und daraus entstand die erste „öffentliche“ Liebesbeziehung in der 50-jährigen Geschichte des chinesischen Profisports.
Sie ist bereits vor knapp zwei Jahren von Chengdu nach Shanghai gezogen, um ihrem Liebsten näher zu sein, den sie „Dali“ nennt. Gerüchte über eine bevorstehende Heirat halten sich hartnäckig, aber hier tritt der Profispieler Wang Liqin wieder in den Vordergrund und er stellt klar: „Als erstes kommen erstmal die nationalen chinesischen Meisterschaften, danach erst werde ich mich mit dem Thema Heirat befassen. Ich bin ein sehr traditioneller Mensch, für eine Heirat, basierend auf einer verständnisvollen Partnerschaft, muss die richtige Zeit gekommen sein.“
Liu Yanchi hat ein sehr inniges Verhältnis mit Wang Liqins Familie, der selbst oft in Peking ist, aber dessen Familie ihre Wurzeln in Shanghai hat. Liu Yanchi fühlt sich dort aufgenommen wie eine Tochter, trifft sich jede Woche mit seinen Eltern, die sich rührend um sie kümmern, selbst wenn sie mal krank im Bett liegt.
Liu Yanchi und Wang Liqins Mutter reisten bereits 2011 gemeinsam zur WM in Rotterdam, um Wang Liqin anzufeuern. Obwohl Liu Yanchi mittlerweile selbst ein Star in Shanghai geworden ist, unterstützt sie Wang Liqin bei seiner Karriere. Sie äußerte sich auch zu Rücktrittsgerüchten: „Das Thema Rücktritt spielt momentan noch keine Rolle. Er gehört immer noch zu den Besten weltweit und kann es mit allen aufnehmen. Er erfährt auch eine große Unterstützung von vielen Fans weltweit, für die auch ich sehr dankbar bin. Deren Begeisterung steckt mich an!“