Es ist vollbracht, die 30. Olympischen Sommerspiele in London sind seit Samstag, 1:21 Uhr eröffnet. Rund 10.500 Athleten aus 204 Nationen nehmen an den insgesamt 302 Wettbewerben teil.
Mancher neutrale Beobachter hat – sicher nicht ganz unberechtigt – die „Clownskostüme“ kritisiert, in denen auch unsere Tischtennis-Asse im Zuge der unvergesslichen Eröffnungsfeier in den weiten Rund des Olympiastadions einliefen. Doch das ist alles zweitrangig. Das Olympia-Fieber ist da – und es steigt stündlich.
Wenn am Sonntag die ersten DTTB-Akteure in den „Ring“ steigen, werden ihnen hunderttausende Tischtennisfans und Sport-affine Menschen die Daumen drücken. Sie betreten die große Bühne in ganz besonderer Mission, können sie doch einem Millionenpublikum vor den Bildschirmen zeigen, dass Tischtennis nicht bloß ein Randsport für eine Handvoll Unentwegte, sondern eine der interessantesten olympischen Disziplinen überhaupt ist – die wohl dynamischste ohnehin.
Leicht wird es aber nicht für Boll & Co. – die Auslosung hätte günstiger laufen können. Doch wer weiß, wofür es gut ist. So muss man sich wenigstens keinen Illusionen von einem scheinbar leichten Auftakt hingeben, die auch einlullen können. Jeder Tischtennis-Olympionike weiß nun, dass er vom ersten Ballwechsel an hellwach zu sein hat, da anderenfalls das sofortige Aus droht. Es verspricht richtig spannend zu werden in den nächsten Tagen in der ExCel-Arena.
Der Einzelwettbewerbe stehen am Anfang des olympischen Zeitplans. Auftaktgegner Timo Bolls in der 3. Runde am Montag dürfte der Hongkong-Chinese Tang Peng werden, der im letzten Jahr bis auf Rang 17 der Weltrangliste vorgestoßen ist. Einen Tick weniger unberechenbar scheint dagegen Dimitrij Ovtcharovs möglicher erster Widersacher, Yang Zi, zu sein. Der Linkshänder aus Singapur, der in der Bundesliga schon für Jülich und Hanau spielte, konnte international gegen DTTB-Spieler in den letzten Jahren kaum etwas reißen. Allerdings müssen sich sowohl Tang als auch Yang zuvor gegen einen Qualifikanten behaupten. Und der Gegner des Letzteren ist kein Geringerer als der vermutlich vom Publikum frenetisch unterstützte Lokalmatador Paul Drinkhall, der in der Bundesliga bei Werder Bremen angeheuert hat. Sollte Boll ins Viertelfinale vorstoßen, träfe er dort vermutlich mit Chuang Chih-Yuan (Taiwan), zehnfacher World-Cup-Teilnehmer und Sieger der Spanish Open 2012, auf einen weiteren Neu-Werderaner.
Noch happiger würde es indes in einem möglichen Halbfinale für den Odenwälder – gegen aller Wahrscheinlichkeit nach den Chinesen Wang Hao, achtfacher Weltmeister, käme es dann zum Duell der Giganten um alles oder nichts. Boll würde in das Match fraglos als Außenseiter hineingehen, auch wenn er die aktuelle Nummer vier der Welt schon geschlagen hat. Ovtcharov bekäme es im Viertelfinale voraussichtlich mit Japans Topspieler Jun Mizutani zu tun, den er im Halbfinale der WM von Dortmund erstmals hatte bezwingen können. Gegen die Nummer fünf des Welt-Rankings wäre „Dima“ dennoch leichter Außenseiter. Im Halbfinale käme es dann ganz dick für Ovtcharov: Der Gegner hieße vermutlich Zhang Jike, amtierender Weltmeister, World-Cup-Sieger und die Nummer eins der Juli-Weltrangliste.
DTTB-Sportdirektor Dirk Schimmelpfennig bewertet die Aufgabenstellung wie folgt: „Uns war vorher klar, dass unsere Spieler bei diesem Turnier von Anfang an gefordert sind. Timo hätte mit möglicherweise Tang Peng einen der besten Gegner aus dem Feld der an 17 bis 32 Gesetzten. Das ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Auch für Dimitrij geht es gegen Yang Zi oder Lokalmatador Paul Drinkhall gleich mit einem schweren Spiel los. Trotz der schwierigen Aufgabe traue ich beiden zu, sie zu lösen. Sie sind mit dieser Auslosung von Beginn an voll gefordert, aber darauf sind wir vorbereitet.“
Doch vorlegen werden die deutschen Damen – und dies bereits am Sonntag. In Runde 2 trifft Kristin Silbereisen unter Umständen auf die englische Defensivkünstlerin Joanna Parker, sofern diese zuvor ihre Hausaufgaben gegen eine Qualifikantin erledigt. Die Zweitliga-erfahrene Rechtshänderin steht als einzige Britin aufgrund einer Wildcard im Einzelfeld. Das Publikum wird die Gegnerin der Deutschen nach vorne zu peitschen versuchen, dennoch wäre die Aufgabe ohne weiteres lösbar.
Jiaduo Wu, an Position neun gesetzt, hat in dieser Turnierphase noch Freilos, muss aber am Abend in Runde 3 erstmals ran. Die Tschechin Iveta Vacenovska – immerhin bei der WM 2009 in Yokohama als beste Europäerin ins Viertelfinale vorgestoßen – könnte ihre Gegnerin sein, während ihre blonde Teamkollegin im Fall eines Zweitrundenerfolgs abends gegen eine weitere Defensivstrategin ran müsste, nämlich gegen die Weißrussin Viktoria Pavlovich, sofern alles nach Plan verläuft. Und dass die Ex-Tostedterin zwei Klassen stärker als Parker ist, muss nicht eigens betont werden.
Dirk Schimmelpfennig beurteilt die Chancen der beiden DTTB-Damen so: „Vacenovska halte ich für sehr gefährlich in einem Erstrundenmatch, aber für eine Spielerin wie Dudu ist auch dies machbar. Bei Kristin müssen wir abwarten. Sie spielt gegen Joanna Parker oder die Brasilianerin Caroline Kumahara. Wir müssen sehen, welche Gegnerin es wird, aber auch diese Aufgabe ist lösbar.“
Im Teamwettbewerb wurden die DTTB-Herren bekanntlich in die Hälfte des Titelverteidigers aus dem Reich der Mitte gelost. Im Halbfinale wäre es so weit mit einem Aufeinandertreffen der WM-Finalisten von Dortmund, sofern beide dorthin gelangen. Doch zunächst gilt es, sich im Achtelfinale gegen sicher hoch motivierte Schweden keine Blöße zu geben. Sportdirektor Schimmelpfennig setzt eindeutige Prioritäten: „Man wünscht sich natürlich nicht, in die chinesische Hälfte gelost zu werden. Wenn wir im Halbfinale sind, können wir uns über die Chinesen unterhalten. Wichtig ist zunächst die Partie gegen die Schweden und danach das Viertelfinale. Wir können zwar mit einem guten Gefühl in das erste Spiel gehen, aber gegen Schweden ist es bei großen Turnieren immer schwierig.“
Etwas lockerer beginnt der Teamwettbewerb für die DTTB-Damen, die gegen Australien im Achtelfinale eigentlich nichts anbrennen lassen sollten. Dirk Schimmelpfennig sieht das ebenso: „Die Auslosung für die Damen brachte mit Australien eine machbare Aufgabe.“
Übersicht der Auslosung (Auszüge)
Herren-Einzel, 3. Runde (beste 32) am Montag, 30. Juli
Timo Boll – Tang Peng HKG/Qualifikant
Dimitrij Ovtcharov – Yang Zi SIN/Qualifikant
Achtelfinale am Montagabend
Damen-Einzel, 2. Runde (64), Sonntag, 29. Juli
Kristin Silbereisen – Joanna Parker GBR/Qualifikantin
Wu Jiaduo – Freilos
3. Runde (32), Sonntagabend
ggf. Silbereisen – Viktoria Pavlovich BLR
Wu – Iveta Vacenovska CZE/Qualifikantin
Herren-Mannschaft, Achtelfinale ab dem 3. August
China – Russland
Singapur – Australien
Österreich – Ägypten
Deutschland – Schweden
Japan – Kanada
Hongkong – Brasilien
Portugal – Großbritannien
Südkorea – Nordkorea
Damen-Mannschaft, Achtelfinale ab dem 3. August
China – Spanien
Ägypten – Niederlande
Hongkong – Österreich
Südkorea – Brasilien
Singapur – Polen
Großbritannien – Nordkorea
Deutschland – Australien
Japan – USA
TV
ARD-Fernsehen
Sonntag, 29. Juli, ab 10 Uhr:
Damen-Einzel, 2. Runde mit Kristin Silbereisen
ARD-Live-Streaming
Sonntag, 29. Juli, ab 20 Uhr:
Damen-Einzel, 3. Runde mit Wu Jiaduo
Montag, 30. Juli, ab 12 Uhr:
Herren-Einzel, 3. Runde mit Dimitrij Ovtcharov
Montag, 30. Juli, ab 13 Uhr:
Herren-Einzel, 3. Runde mit Timo Boll
Links
Zu den Olympia-Seiten auf der ITTF-Website
http://www.london2012.com/table-tennis/