Während Deutschlands Tischtennis-Aushängeschild Timo Boll am Montagabend gegen Adrian Crisan enttäuschte und verdient in fünf Sätzen verlor – auch vor vier Jahren in Peking war der derzeitige Weltranglistensiebte überraschend in der Runde der letzten Sechzehn ausgeschieden -, mausert sich Dimitrij Ovtcharov immer mehr zum Gipfelstürmer.
Der 23-jährige, der für Champions-League-Sieger Orenburg spielt, gab noch keinen Satz im Turnier ab und ließ auch dem starken Austro-Chinesen Chen Weixing in einem Achtelfinalmatch mit sehenswerten Ballwechseln keine echte Chance.
Für Timo Boll bleibt indes lediglich die Hoffnung auf einen Coup mit der Mannschaft, doch auch dies dürfte nicht allzu leicht werden, da das DTTB-Team in einem möglichen Halbfinale auf die Tischtennis-Weltmacht China treffen würde.
Werder Bremens 32-jähriger Rumäne Adrian Crisan, nach zwölf Jahren in Deutschland fast schon eine Art Bundesliga-Urgestein, hat am Montagabend viele deutsche Tischtennisfans unglücklich gemacht. Der introvertierte Ex-Ochsenhausener, aktuelle Nummer 27 des Welt-Rankings, bezwang seinen einstigen Lieblingsgegner Timo Boll, dessen Crisan-Trauma nach einer ganzen Serie von Siegen zuletzt komplett überwunden zu sein schien, im olympischen Achtelfinale mit 4:1 (11:9, 8:11, 15:13, 12:10, 11:6). Crisan spielte stark, blieb hochkonzentriert und machte die Bigpoints, während der Odenwälder deutlich unter seinen Möglichkeiten blieb und sich diesmal auch nicht in gewohnter Nervenstärke präsentierte. Die Nummer sieben der Welt verlor gleich drei enge und natürlich wichtige Sätze. Damit platzte eine ganz große Medaillenhoffnung des DTTB. Was Timo Boll betrifft, muss man inzwischen tatsächlich von einer Art Olympia-Fluch sprechen.
Besser machte es Deutschlands Nummer zwei Dimitrij Ovtcharov. Der 23-jährige Europe TOP12-Sieger legte vor fast 6.000 begeisterten Zuschauern in der ExCel-Arena einen nahezu fehlerfreien Auftritt gegen Österreichs Defensiv-Ass Chen Weixing hin (11:8, 16:14, 11:8, 11:5) und zog verdient ins Viertelfinale ein. Dort wartet morgen Abend der wieder erstarkte Michael Maze auf „Dima“, der als letzter Recke des DTTB-Quartetts im Wettbewerb verblieben und nun natürlich zum großen Hoffnungsträger avanciert ist. Der Däne schaltete im Achtelfinale den Weltranglistenfünften Jun Mizutani aus Japan ein wenig überraschend aus und musste dabei nicht einmal einen Satzverlust hinnehmen. Doch in der Verfassung des Montags hat Ovtcharov durchaus eine realistische Chance auf den Halbfinaleinzug.
Stimmen zu den Achtelfinalspielen
Timo Boll: „Am liebsten würde man losheulen, aber ich reiße mich noch zusammen. Ich bin natürlich riesig enttäuscht. Mir fehlen die Worte, auch weil mein Gegner so stark gespielt hat. Ich hatte mit meinem eigenen Aufschlag Probleme, selbst mit meinem Gegenläufer-Aufschlag, der eigentlich eine starke Waffe ist. Dann ist mir das ganze Spiel weggebrochen. Ich war dann total verkrampft. Dass sich die Verkrampfung durch ein ganzes Spiel zieht, ist bei mir wohl leider typisch Olympia. Ich werde jetzt wohl ein, zwei Tage in Selbstmitleid baden, dann werde ich mich zusammenreißen. Mit der Mannschaft haben wir die Chance auf eine Medaille. Die wollen wir nutzen.“
Adrian Crisan: „Ich bin sehr glücklich über mein sehr, sehr gutes Match. Timo war nervöser als ich und hat nicht sein bestes Tischtennis gespielt. Anders als sonst habe ich bei seinen Aufschlägen besser aufgepasst und direkt angegriffen. Für mich ist alles gut gelaufen, selbst das nötige Glück hatte ich bei engen Spielständen.“
Bundestrainer Jörg Roßkopf: „Timos Aufschläge hatten nicht den gewohnten Effet, viele waren halblang. So konnte Adrian direkt angreifen. Es ist schwer, ins Spiel zu kommen, wenn man direkt unter Druck gesetzt wird. Doch Timo hat alles versucht. Es liegt nicht in seinem Naturell aufzugeben, egal wie hoch der Rückstand ist. Das hat er auch diesmal nicht getan. Es ist unsere Aufgabe, Timo wieder aufzubauen. Er muss die Niederlage jetzt schnell verarbeiten und im Team wieder richtig Gas geben.“
DTTB-Sportdirektor Dirk Schimmelpfennig: „Wir sind natürlich alle enttäuscht. Vor allem sind wir aber sehr traurig um seinetwillen. Er hatte sich so viel für diese Olympischen Spiele vorgenommen und war sehr gut vorbereitet. Mit Dimitrij Ovtcharov steht am Dienstag ein Deutscher im Viertelfinale. Darauf liegt ab jetzt unsere Konzentration. Timo ist heute am Boden, aber ich bin sicher, dass er sich bis zum Mannschaftswettbewerb wieder aufbauen kann und versuchen wird, mit dem Team eine Medaille zu erreichen.“
Dimitrij Ovtcharov: „Ich trainiere seit meiner Jugend viel gegen Abwehr. Das zahlt sich aus. Ich trainiere seit Mai für Olympia, das waren auch zwei Monate mit viel Athletiktraining. So intensiv auf ein Turnier vorbereiten konnte ich mich noch nie. Die englischen Zuschauer sind sehr motiviert und gehen gut mit. Auch viele deutsche Fans unterstützen mich hier. Ich würde nicht sagen, dass ich lieber gegen Michael (Maze) spiele als gegen Jun (Mizutani). Es hat mich überrascht, dass er so klar gegen Jun gewonnen hat. Gegen Michael wird es für mich eine Partie auf Augenhöhe.“
Achtelfinale Herren
Dimitrij Ovtcharov GER – Chen Weixing AUT 4:0 (8,14,8,5)
Timo Boll GER – Adrian Crisan ROU 1:4 (-9,8,-13,-10,-6)
Viertelfinale Herren
Adrian Crisan ROU – Chuang Chih-Yuan TPE (Dienstag, 21:00 Uhr deutsche Zeit)
Dimitrij Ovtcharov GER – Michael Maze DEN (Dienstag, 22:00 Uhr)
Zhang Jike CHN – Jiang Tianyi HKG (Mittwoch, 11:00 Uhr)
Seiya Kishikawa JPN – Wang Hao CHN (Mittwoch, 12:00 Uhr)