Hanaus Ex-Publikumsliebling Sensationsmeister 2013
Stechert-Arena Bamberg, 3. März, 17:36 Uhr: Ein Baum von einem Mann sackt zu Boden und begreift selbst nicht so recht, was gerade geschehen ist. Soeben hat der 1,96 Meter lange, 90 Kilo schwere Steffen Mengel das Spiel seines Lebens siegreich beendet.
Im Endspiel um die 81. Deutsche Meisterschaft hatte der 24-Jährige das Unmögliche möglich gemacht und einen sichtlich erstaunten Timo Boll in sieben hoch dramatischen Sätzen niedergerungen (11:4, 8:11, 11:8, 6:11, 5:11, 14:12, 11:7).
2.600 Zuschauer waren aus dem Häuschen, auch wenn mancher irritiert dreinblickte, nicht sicher, ob er nicht an Halluzinationen leide. Doch es war real, der 157. der aktuellen Weltrangliste hatte gerade den Fünften besiegt und sich als Deutscher Meister 2013 in die Tischtennis-Annalen eingetragen.
Und der Erfolg war alles andere als unverdient. Immer wenn Boll so richtig im Match angekommen zu sein schien und vorgelegt hatte, schlug der Hüne, der sich im Halbfinale noch zu einem hauchdünnen Sieben-Satz-Sieg über den Grenzauer Zoltan Fejer-Konnerth gezittert hatte, hochkonzentriert zurück und hatte die bessere Antwort parat. Die Fans bekamen zudem den einen oder anderen Ballwechsel für die Galerie zu sehen.
Der frischgebackene Champion sagte eine halbe Stunde später: „Das war Wahnsinn heute, ich kann es noch gar nicht so richtig glauben, Deutscher Meister geworden zu sein und Timo geschlagen zu haben. Ich glaube, das war das beste Spiel, das ich überhaupt je gemacht habe.“ Das hatte er vorher selbst nicht für möglich gehalten, auch wenn der ansonsten eher bedächtige Siegerländer am Freitag beim Eintreffen in der Halle auf einen flapsigen Spruch des Verfassers („Da kommt ja der neue Deutsche Meister!“) schlagfertig reagiert hatte: „Gratulationen werden erst ab Sonntag entgegengenommen.“ Mengel erklärt, weshalb Boll eigentlich kaum zu packen ist: „Man muss ständig 100 Prozent spielen, um überhaupt eine kleine Chance zu haben, und darf in der Konzentration nie auch nur ein bisschen nachlassen. Wie ich das heute geschafft habe, kann ich selbst noch nicht sagen.“
Timo Boll, der bis zum Endspiel keinen Satz abgegeben hatte, erwies sich als fairer Verlierer und erkannte Mengels Leistung an: „Steffen hat heute sehr gut gespielt. Er hat stark begonnen und war in den ersten Sätzen der bessere Mann. Als ich die Sätze vier und fünf gewonnen hatte und im sechsten 6:3 führte, da hatte ich das Spiel auf dem Schläger. Doch Steffen stellte in dieser Phase sein Spiel um und variierte seine Aufschläge, die ich dann bis zum Schluss ganz schlecht gelesen habe.“ Die Hoffnung auf den zehnten Meistertitel will der bisher neunmal dekorierte Ausnahmespieler aus dem Odenwald indes nicht aufgeben: „Ich würde schon gerne noch einmal Deutscher Meister werden, aber es wird nicht einfacher.“
Steffen Mengel war über den Zweiligisten Schwalbe Bergneustadt 2007 zum zweimaligen Champions League-Sieger TTV Gönnern gestoßen und hatte sich 2009 dem Gönnern-Erben TG Hanau angeschlossen. Mit diesem schaffte er dreimal den Klassenerhalt in der höchsten deutschen Spielklasse.
Richtig große Titel waren ihm in seiner Karriere, in der er wiederholt durch heftige Verletzungen zurückgeworfen wurde, bis letzten Sonntag versagt geblieben. Zwar errang er einige Mannschaftspokale im Jugend-Bereich, 2006 sogar Gold bei der Jugend-EM mit dem Nationalteam, doch dort stand er stets im Schatten Dimitrij Ovtcharovs, der inzwischen Weltranglistensiebter ist. 2006 war er Deutscher Jugendmeister im Einzel, doch das ist nicht annähernd vergleichbar mit dem Titel bei einer großen nationalen Meisterschaft. Auch das Bundesranglistenturnier, das er 2010 und 2012 gewonnen hatte, ist nicht annähernd so hoch anzusetzen, da dort überwiegend Zweitligaspieler vertreten waren.
Bei den NDM 2010 in Trier hatte Mengel immerhin das Halbfinale erreicht. Doch dort hieß sein Gegner Timo Boll – und der ließ dem damaligen TGH-Crack in vier Sätzen zusammen ganze elf Punkte. Mengel hatte danach minutenlang wie ein Häufchen Elend auf einem Stuhl am Rand der Halle gesessen. So gesehen hatte er, der seinen Finalgegner sehr genau aus unzähligen gemeinsamen Trainingseinheiten in der Trainingsgruppe Helmut Hampls kennt, am Sonntag in Bamberg einiges gutzumachen – und das glückte auf ganzer Linie.
Die TG Hanau könnte, hätte sie sich nicht vor der Saison zum Rückzug aus dem Profitischtennis entschlossen, den aktuellen Deutschen Meister in ihren Reihen haben. Allerdings wollte man auf Mengels Dienste bereits zu einem Zeitpunkt verzichten, als der Ausstieg noch nicht einmal im Gespräch war.
In seiner letzten Bundesligasaison an der Kinzig erspielte der einstige Hanauer Publikumsliebling, dessen kämpferischer Stil vielen imponierte, eine 12:9-Bilanz. Bei seinem neuen Verein in Baden-Württemberg, dem derzeitigen Bundesligasechsten TTC Frickenhausen, kommt der „Siegerländer Riese“ bisher auf eine Bilanz von 5:7 – da sollte eigentlich noch mehr gehen.
Nach seinem unvergesslichen Auftritt in Bamberg sind Mengels Chancen gestiegen, im Mai bei der WM in Paris für Deutschland zu starten. Bundestrainer Jörg Roßkopf meint zu diesem Thema: „Steffen ist ein großer Kämpfer und spielt seit Januar in bestechender Form. Durch den Sieg über Timo hat er mit Sicherheit keine schlechteren Chancen auf einen Platz in der Nationalmannschaft.“
Steffens Bruder Michael ist übrigens einer der Leistungsträger des derzeitigen Regionalligadritten TTC Ober-Erlenbach, der mit hessischen Toptalenten und einigen Routiniers mittelfristig in die Fußstapfen des TV Gönnern und der TG Hanau treten möchte. Teammanager ist dort, vor den Toren Bad Homburgs, Johannes Herrmann, ein alter Bekannter aus der Bundesliga, der bei beiden Klubs einst Manager-Funktionen ausgeübt hat. Vielleicht ergibt sich auf diesem Weg sogar in den nächsten Jahren eine Mengelsche Familienzusammenführung – allerdings müsste das wohl schon in der Bundesliga stattfinden, denn tiefer muss der Deutsche Meister des Jahres 2013 wohl so schnell sicher nicht mehr aufschlagen.
Dieser Artikel ist die ausführliche Fassung des Texts eines Mitarbeiter des News-Teams, der in einer leicht gekürzten Version am Donnerstag in einer großen Hanauer Tageszeitung erscheinen wird – deshalb der besondere Bezug auf die Stadt und den dortigen Ex-Bundesligisten. Der Verfasser hat sich nochmals mit dem Phänomen Mengel befasst, das seit letzten Sonntag in aller Munde ist. Wir wollen unseren Lesern den Text nicht vorenthalten.