Hier nun der dritte und letzte Teil des Interviews mit dem chinesischen Cheftrainer und Chefcoach des Herren-Nationalteams Liu Guoliang.
Der 37-Jährige gibt detaillierte, offene und teilweise auch recht persönliche Einblicke in seine Trainerkarriere beziehungsweise sein Wirken und Denken.
Spielt auch die Chinese Superleague – die stärkste Liga der Welt – eine bedeutende Rolle, um junge chinesische Nachwuchsspieler durch Spiele gegen die chinesischen Topstars an die Weltspitze heranzuführen? Wie beurteilen Sie die Superliga insgesamt?
„Natürlich ist die Superliga wichtig. Aber manche Spiele darf man nicht überbewerten, da leider die meisten Nationalspieler nicht in der Lage waren, in der Superliga auf Toplevel zu spielen. Die Liga ist leider etwas zu aufgebläht und die Spieler verlieren unweigerlich das nötige Herzblut zu spielen. Ich sage nicht, dass die Topspieler der Superliga zu wenig Aufmerksamkeit schenken, aber die gesamte Umgebung sorgt für eine zu lasche Einstellung, die es schwer macht, vollkommen fokussiert in die Spiele zu gehen. Wir haben in der Superliga auch mit zurückgehenden Zuschauerzahlen zu kämpfen. Wir müssen uns damit beschäftigen, das Interesse der Nation wieder zu erhöhen und mehr Menschen dafür begeistern, sich die Spiele anzuschauen. Hierzu müssen wir sicherlich auch mehr internationale Spieler einladen, wir müssen Events organisieren und für eine bessere Öffentlichkeitsarbeit sorgen. Wir müssen die Chinese Superleague zu einer hochprofessionellen Liga machen, dann werden die Topspieler auch entschlossener sein, den Titel gewinnen zu wollen. Wir müssen die Superliga auch zukünftig weiter reformieren, um den Sport in jeden Haushalt zu bringen, zumindest in China, damit jeder das Schöne und Besondere des Tischtennis Sports schätzen lernen wird.“
Sie sind mittlerweile seit einem Jahrzehnt Cheftrainer in China. Ein langer Zeitraum, in dem Sie sicherlich viel erlebt haben?
„Ja, ich wurde offiziell zum Cheftrainer des chinesischen Herrenteams im Jahr 2003. Seitdem habe ich schmerzhafte Erfahrungen machen müssen wie die Niederlage bei Olympia 2004 in Athen, aber auch glorreiche Siege erleben dürfen wie bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking und 2012 in London. Wenn ich diese 10 Jahre Revue passieren lassen, dann weckt jeder Moment dieser langen Zeit vielfältige Emotionen in mir. Athen 2004 war bitter, aber wenn ich zurückblicke, fühle ich mich dankbar für diese Erfahrung. Wenn es einen nahtlosen Übergang gegeben hätte, dann hätte ich mich zu einfach geschmeichelt fühlen können. Aber gerade weil ich im ersten Versuch gescheitert war, das Herrenteam bei den Olympischen Spielen zu führen, war meine Motivation umso größer, die Entwicklung weiter voranzutreiben und ich werde diese Erfahrung nie vergessen. Normalerweise kann man bei einem Team alle sechs Jahre einen Niedergang feststellen, der einen Umbruch nötig macht. Aber unser Team ist seit 2005 permanent auf dem aufsteigenden Ast. Das haben wir dieser Niederlage in Athen 2004 zu verdanken, die für uns wie das Schrillen einer Alarmglocke war. Anfang 2013 wurde ich Cheftrainer des gesamten chinesischen Tischtennis Teams. Das ist etwas, wovon ich immer geträumt hatte! Es war ein Jahrzehnt der großen Kämpfe. Ich möchte allen meinen Athleten danken, die bei diesen drei olympischen Spielen und den dazwischen liegenden Olympiaden gekämpft haben. Es war ihre harte Arbeit, die uns Gold gewinnen lies. Ich werde meine Bemühungen verdoppeln, um weitere glorreiche Jahre zu schaffen. Das bedeutet für mich eine höhere Ausgangslage und ich hoffe, dass jeder mein Team und mich unterstützen wird. Wir werden gemeinsam die nächste Ära erleben. Ursprünglich hatte ich vor, nach Olympia 2020 zurückzutreten. Aber was die Zukunft bringen wird, muss man sehen.“
Wie sieht Ihr aktuelles Trainerteam aus?
„Ich bin nicht nur Cheftrainer der gesamten chinesischen Nationalmannschaft, sondern weiterhin Chefcoach der Herren. Zu meinem Trainerteam im Herrenbereich gehören Wu Jingping, Qin Zhijian, Xiao Zhan und Ma Junfeng. Cheftrainer der Damen ist Kong Linghui. Zum Trainerteam der Damen gehören Li Sun, Ren Guoqiang, Qiao Xiaowei, Chen Bin und Liu Zhiqiang.“
Sie hatten herausragenden Erfolge als Spieler, aber können Sie uns noch etwas zu Ihrem Werdegang erzählen und vielleicht auch die ein oder andere Information über Liu Guoliang privat?
„Ich wurde in Xinxiang geboren, in der Provinz Henan. Am 10. Januar 2013 habe ich meinen 37. Geburtstag gefeiert. Die meisten Dinge hatte ich in meinem Leben aber immer im Monat August zu feiern, meine Hochzeit, die Olympiasiege und den Gewinn des Grand Slams, alles passierte im Monat August und ich hoffe, dass dies auch weiterhin mein glücklichster Monat sein wird. Mit Tischtennis habe ich im Alter von sechs Jahren angefangen. Seit 1988 wurde ich von Yin Xiao trainiert, zusammen mit dem ebenfalls zwölf Jahre alten Kong Linghui, der ein paar Monate älter war als ich. Er war für uns ein bisschen wie ein Vater. 1991 bin ich dann ins Nationalteam gekommen. Innerhalb von fünf Jahren habe ich es dann geschafft, mein Ticket für Olympia zu buchen. Ich war zu diesem Zeitpunkt nicht die erste Wahl der Verantwortlichen, aber durch die Beharrlichkeit meines Trainers Yin Xiao bei Cai Zhenhua kam ich statt Ding Song ins Team und spielte auch im Einzel. Ich gewann im Einzel und Doppel olympisches Gold. Im selben Jahr gewann ich den Weltcup und 1999 dann die Weltmeisterschaft im Einzel. Ich schlug früh ein neues Kapitel in meinem Leben auf, denn im Alter von 27 Jahren wurde ich dann Cheftrainer der chinesischen Nationalmannschaft. In diesem Jahrzehnt habe ich auch einen anderen Übergang erlebt, den zu einem Ehemann und Vater. Es ist ein besonderes Gefühl, die Schwangerschaft meiner Frau zu erleben und dann meine Kinder aufwachsen zu sehen. Durch meine beiden Töchter Yujie und Yutong, Zwillinge, fühle ich mich noch mehr in der Verantwortung und verspüre einen größeren Drang mit dem Tischtennissport Einfluss auf junge Menschen zu nehmen. Auch unsere Spieler müssen ihre ausgezeichneten Qualitäten nutzen, um Jüngeren Tischtennis näher zu bringen. Es ist ein tolles Gefühl, wenn man sieht, dass Tischtennis in allen Generationen geliebt wird.“
Sie haben als Spieler alles gewonnen, was man nur gewinnen kann und sind jetzt seit über einem Jahrzehnt die zentrale Figur der chinesischen Nationalmannschaft als Cheftrainer und Idol vieler Tischtennisspieler in und außerhalb von China. Hat oder hatte ein Liu Guoliang auch selber ein Idol?
„Ich habe nicht wirklich ein Idol. Ich schätze viele Ausnahmeathleten, so zum Beispiel Michael Jordan. Obwohl ich Basketball nicht einmal besonders mag, habe ich immer bewundert, wie dominant er aufgetreten ist, wieviel Einfluss er hatte. Unter den Tischtennisspielern mag ich besonders Jan-Ove Waldner, da mir seine Art gefallen hat, Tischtennis zu einer Kunst zu machen.“
War Jan-Ove Waldner auch Ihr härtester Gegner im Wettkampf?
„Zuerst muss ich da Vladimir Samsonov nennen. Aber dann Jan-Ove Waldner. Innerhalb des chinesischen Teams waren für mich Kong Linghui und Wang Tao am schwierigsten zu spielen. Ich bin mit Kong Linghui aufgewachsen, deshalb kannte er mich am besten. Es war bei ihm ähnlich wie bei Wang Tao, auch er kannte mich sehr gut, wir kämpften in einem Team und kannten uns gut. Gegen beide war es schwer, sie im Spielfluss zu stören und den Punkt zu machen.“
Nachfolgend als kleine Zugabe noch einige Videos von Endspielen der letzten drei Olympiaden, die auch Meilensteine in der Trainerkarriere von Liu Guoliang waren:
http://www.youtube.com/watch?v=CYYKB_dR7GE
http://www.youtube.com/watch?v=b0VLtqlDQd4