Die Mannschafts-WM 2016 in Kuala Lumpur schreibt auch an ihrem sechsten Tag Tischtennis-Geschichte. Außenseiter England besiegte in einem wahren Viertelfinal-Krimi die Auswahl Frankreichs mit 3:2 und steht im Halbfinale.
Es war fast ein Abbild des Thrillers vom Vortag gegen Polen im Achtelfinale – und genauso eng ging es zu zwischen den Briten und der Èquipe Tricolore. Und wieder hieß der Sieger am Ende England, das zuletzt vor 33 Jahren in einem WM-Viertelfinale gestanden hatte und nun unter den besten vier Teams der Welt gelandet ist und die Bronzemedaille sicher hat. Jenes England, das 2014 in Tokio – im Übrigen mit fast denselben Spielern, nur die Nummer drei Sam Walker war noch nicht dabei – in der 2. Division aufgeschlagen hat. Eine unglaubliche Tischtennis-Story von historischer Dimension.
Zunächst schien alles nach Plan für die favorisierten Franzosen zu laufen. Ein starker Simon Gauzy gab sich gegen Paul Drinkhall keine Blöße (11:9, 11:8, 11:8). Doch Gauzys Ochsenhausener Teamkollege Liam Pitchford war ebenfalls gut drauf und egalisierte gegen Emmanuel Lebesson (11:8, 11:6, 11:9). Tristan Flore stellte gegen Samuel Walker den alten Abstand wieder her und benötigte dafür vier Sätze (11:8, 11:5, 7:11, 11:7).
Ein Pünktchen fehlte den Franzosen noch zum Triumph. Normalerweise könnte dieses Gauzy gegen Pitchford holen, doch die beiden kennen sich gut, verdammt gut – und der schlaksige Brite war an jenem Tag eben noch einen kleinen Tick besser beziehungsweise lockerer als der Weltranglisten-27. Man muss zu diesem TTF-Vereinsduell und dem 3:1-Erfolg Pitchfords gar nicht allzuviel sagen, das nackte Ergebnis – aus Sicht des Siegers – vermittelt einen lebhaften Eindruck von diesem großartigen, sehr emotionalen Duell: 12:10, 19:21, 11:9, 11:9.
Die Dramatik erfuhr eine weitere Steigerung im abschließenden Match. Lebesson hatte gegen Drinkhall, der in letzter Zeit offenbar immer dann besonders gut ist, wenn es um richtig viel geht, den ersten Satz mit 13:15 verloren und die folgenden beiden Durchgänge gewonnen (11:8, 11:9). Ein Satzgewinn trennte Frankreich noch vom Halbfinale. Doch Drinkhall egalisierte (11:9) und durfte schließlich in einem Wahnsinns-Entscheidungssatz, in dem der Engländer zunächst vier Machbälle vergab, dann einen gegen sich abwehrte und cool blieb, ein 13:11 bejubeln. Ausgelassene Freude bei den Briten, versteinerte Mienen bei den Franzosen – der Thriller hatte keinen unberührt gelassen.
Video-Clip von den letzten Sekunden des denkwürdigen Matchs
(Courtesy of the ITTF)
Am Samstag trift man im Halbfinale auf das Team Japans mit Jun Mizutani, Maharu Yoshimura und Koki Niwa, den Top-Anwärter auf die Silbermedaille. Die Japaner hatten in einem umkämpften Match Hongkong mit 3:1 besiegt – lediglich Koki Niwa war leer ausgegangen.
Nichts, rein gar nichts haben Pitchford und Co. zu verlieren. Allerdings könnten sie im Fall einer Sensation ihre Bronzemedaille sogar versilbern. Zudem würde das die internationale Tischtennis-Hierarchie richtig durcheinanderwirbeln.
Das andere Semifinale bestreiten im Übrigen China – 3:0-Sieger über Schweden ohne Satzverlust – und die Auswahl Südkoreas, die im Viertelfinale die Portugiesen mit 3:1 ausschaltete. In dieser Partie konnte lediglich Tiago Apolonia für die Südeuropäer punkten (3:1 gegen Jung Youngsik).
England hält also die Fahne Europas im Weltturnier hoch. Es stellt das einzige Team des Kontinents, das noch Titelchancen besitzt – ein kleines beziehungsweise mittleres Tischtenniswunder ist das allemal.