220 Minuten tolles Tischtennis auf höchstem Niveau, ein verdienter 3:2-Sieg der Ochsenhausener über den deutschen Rekordmeister, eine rappelvolle Halle mit begeisterten Fans – das ist eine Menge und doch ist unter dem Strich nicht allzuviel passiert.
Es war schon ein Highlight, jenes Viertelfinal-Hinspiel am Freitagabend in der restlos ausverkauften Dr.-Hans-Liebherr-Halle und dennoch ist es beinahe so, als würde im Königsklassen-Rückspiel am 10. Februar im Düsseldorfer ARAG CenterCourt alles wieder bei null beginnen. Der Vorteil von 12:9 Sätzen zugunsten der TTF ist nur ein kleiner, so dass vermutlich der Gewinner der zweiten Partie ins Halbfinale der Table Tennis Champions League Men einziehen wird.
Schwerer wiegt da vielleicht der psychologische Vorteil für die Oberschwaben, die mit einem Erfolg im Rücken in die zweite Partie gehen und die Erkenntnis gewonnen haben, dass sie Düsseldorf schlagen können, egal wen der Gegner aufstellt. Immerhin haben sie den erfolgsverwöhnten Rheinländern die erste Pflichtspiel-Niederlage nach einer imposanten Serie von 17 Siegen beigebracht. Und für die Niederlage davor zeichneten sie auch verantwortlich mit einem 3:1 über die Borussia am Anfang der Saison in der Bundesliga.
Simon Gauzy war der Spieler des Abends. Er bezwang Timo Boll zum vierten Mal in Serie – und das recht souverän. Zudem behielt er auch gegen den starken Anton Källberg das Heft in der Hand und brachte den TTF-Heimsieg unter Dach und Fach. Überzeugend war auch der Auftritt von Jakub Dyjas, der mit dem Österreicher Stefan Fegerl immerhin die aktuelle Nummer 19 der Welt beherrschte. Einzig Hugo Calderano blieb seitens der Ochsenhausener hinter den Erwartungen zurück und musste sowohl Källberg als auch Boll zum Sieg gratulieren.
Düsseldorfs geglückter Schachzug mit Anton Källberg
Doch der Reihe nach: Gar nicht überraschend hatte Düsseldorf den jungen Schweden Anton Källberg anstelle seines Landsmanns Kristian Karlsson gegen die TTF aufgeboten – Källberg hatte vor Kurzem im Bundesligaspiel gegen die Oberschwaben mit zwei Siegen geglänzt, während Karlsson leer ausgegangen war. Und der Borussia-Schachzug erwies sich als clever. Källberg, bis letzten Sommer Student des Liebherr Masters College, rang einen Hugo Calderano in fünf Sätzen nieder, der trotz zwischenzeitlicher 2:1-Satzführung nicht zu seiner gewohnten Sicherheit fand und zu viele leichte Fehler machte. TTF-Präsident Kristijan Pejinovic: „Wir hatten damit gerechnet, dass sie Anton [Källberg] nach seinen starken Leistungen gegen uns im TTBL-Spiel aufstellen würden und er hat dies ja auch durch seinen Sieg über Hugo, der allerdings nicht seinen besten Tag erwischt hatte und zu viele leichte Fehler machte, gerechtfertigt.“
Simon Gauzy egalisiert gegen Timo Boll
Nun mussten die TTF liefern, wollten sie nicht mit einem kaum wettzumachenden 0:2 in die Pause gehen. Und das taten sie, obwohl seitens des Rekordmeisters nun der Weltranglisten-Elfte Timo Boll in die Box trat. Simon Gauzy jedoch hatte den prominenten Odenwälder, einst sogar die Nummer eins der Welt, dreimal in Folge besiegt. Weshalb sollte dies nicht auch ein viertes Mal gelingen?! Das ist natürlich leichter gesagt als getan in einer Drucksituation unter Siegzwang gegen einen Weltklasse-Kontrahenten, der bestens vorbereitet nach Ochsenhausen angereist war und den TTF-Franzosen diesmal unbedingt packen wollte. Zudem gilt Boll gerade in Final- oder Final-ähnlichen Situationen als besonders schwer zu schlagen – und so ein Champions-League-Viertelfinale beim alten Rivalen ist schon eine kleine Final-Situation. Doch das berührte Gauzy nicht im Mindesten, der sein Spiel machte und zudem taktisch clever agierte. Der TTF-Spitzenspieler gab sich so gut wie keine Blöße. Nur der zweite Satz ging knapp an Boll, doch danach hatte der Ochsenhausener das Geschehen wieder gut im Griff, den auch ein 6:9-Rückstand im vierten Durchgang nicht aus dem Konzept brachte, den er flugs in ein 11:9 ummünzte. Wettbewerbsübergreifend war das erst die zweite Niederlage in der laufenden Saison für das Borussia-Aushängeschild. Pejinovic war begeistert über den TTF-Leitwolf: „Simon zeigte Tischtennis vom Feinsten und agierte mit Finesse und guter Taktik. Er spielt einfach inzwischen richtig gut gegen Boll und kann dessen Spiel gut lesen. Simon zeigt immer mehr, welche Klasse er inzwischen erreicht hat und dass er nicht von ungefähr die Nummer 14 der Welt ist.“
Dyjas schlägt Fegerl, Gauzy sorgt für die Entscheidung
Ochsenhausen hatte ausgeglichen und alles war offen geblieben. Man war gespannt, was nach der Pause folgen würde. Und es wurde weiterhin tolles, hochklassiges Tischtennis geboten. So etwa von einem Jakub Dyjas, der in den engen ersten beiden Sätzen gegen Stefan Fegerl zu kämpfen hatte und bei 0:1-Satzrückstand und 6:10 im zweiten Durchgang mit dem Rücken zur Wand zu stehen schien, dann jedoch richtig Gas gab und seinen Gegner nach dem gedrehten zweiten Satz fast nach Belieben beherrschte. Ein starker Auftritt des EM-Dritten. Kristijan Pejinovic: „Das war ein Augenschmaus!“ Und ergänzend fügte der TTF-Präsident hinzu: „Im ersten Satz spielte er noch mit Handbremse, als er jedoch den zweiten Durchgang gewonnen und Satzbälle abgewehrt hatte, was das Ventil offen. Da war auch noch ein Traumpunkt gegen Fegerl dabei, der eigentlich als Video um die Welt gehen müsste.“
Die TTF lagen wieder in Front, konnten jedoch noch nicht zum entscheidenden Schlag ausholen. Hugo Calderano, der Timo Boll auch schon geschlagen hat, sah diesmal gegen den 35-jährigen Linkshänder über weite Strecken kein Land und war lediglich im zweiten Satz der Bessere – an der 1:3-Niederlage des Weltranglisten-20. aus Brasilien gab es nichts zu rütteln.
Folglich musste es Simon Gauzy richten – und der ging auch gegen Borussia-Shootingstar Källberg hochkonzentriert an den Tisch, musste zwar den ersten Satz noch in der Verlängerung abgeben, gestattete dann aber dem jungen Skandinavier in keinem der nachfolgenden drei Durchgänge mehr als sieben Punkte. Eine Galavorstellung Gauzys – und der knappe Sieg der Oberschwaben war in trockenen Tüchern.
Ein zufriedener TTF-Präsident
Kristijan Pejinovic war voll des Lobes: „Vom Niveau war das einfach top, besser kann ein solches Spiel kaum sein. Und es war sehr wichtig für die Köpfe der Spieler. Man weiß nun, man kann sie schlagen, egal ob mit oder ohne Boll. Natürlich will ein solches 3:2 noch nicht allzuviel heißen, jedoch haben wir es selbst in der Hand, im Rückspiel das Halbfinale klarzumachen und gehen psychologisch gestärkt in dieses Spiel.“ Auch das „Drumherum“ passte. „Wir waren bis auf den letzten Platz ausverkauft und hatten eine Bombenstimmung in der Halle“, so Pejinovic. „Die Zuschauer kamen absolut auf ihre Kosten.“ Wünschen würde sich der TTF-Chef, „dass alle drei Spieler mal an einem solchen Tag ihre volle Substanz abrufen können, vielleicht gelingt uns das ja im Rückspiel, das wir auf jeden Fall gelassen auf uns zukommen lassen werden.“ Allerdings gelte es nun, auf dem Teppich zu bleiben: „Jetzt müssen wir die Euphorie ein klein wenig bremsen, damit wir am Sonntag das wichtige Bundesliga-Spiel gegen Bremen gut meistern.“
Die Borussia will das Blatt im Rückspiel wenden
Die Düsseldorfer glauben weiterhin an ihre Chance, die Runde der besten Vier zu erreichen. „Sicher hatten wir unsere Chancen“, so Manager Andreas Preuß. „Stefan Fegerl spielt eigentlich gut, hat dann bei seinen Satzbällen etwas Pech und kommt völlig aus dem Rhythmus. Aber im Rückspiel ist noch alles drin. Sicher sind die Chancen auf das Weiterkommen ein wenig gesunken, aber mit den eigenen Zuschauern im Rücken und unter den uns vertrauten Bedingungen können wir das noch schaffen.“ Dem stimmte auch Danny Heister zu: „Bis zum Rückspiel ist noch viel Zeit. Unser Satzverhältnis ist nicht das Beste. Aber auch ein 3:1-Sieg im zweiten Spiel ist mehr als nur theoretisch möglich.“ Gleichzeitig stellte sich der Borussia-Cheftrainer schützend vor seinen Youngster: „Kein Beinbruch. Anton hat heute und in den vergangenen Wochen wirklich toll gespielt und wichtige Siege für uns geholt. Niemand erwartet einen Sieg gegen die Nummer 14 der Welt.“
TTF Liebherr Ochsenhausen – Borussia Düsseldorf 3:2
Hugo Calderano – Anton Källberg 2:3 (4:11, 11:1, 11:9, 9:11, 7:11)
Simon Gauzy – Timo Boll 3:1 (11:6, 9:11, 11:5, 11:9)
Jakub Dyjas – Stefan Fegerl 3:1 (10:12, 13:11, 11:4, 11:6)
Hugo Calderano – Timo Boll 1:3 (4:11, 11:7, 4:11, 7:11)
Simon Gauzy – Anton Källberg 3:1 (10:12, 11:6, 11:7, 11:7)
Die weiteren Viertelfinal-Hinspiel-Ergebnisse der TTCLM
G.V. Hennebont T.T. (FRA) – AS Pontoise Cergy (FRA) 0:3
Eslövs Ai Bordtennis (SWE) – TTC Fakel Gazprom Orenburg (RUS) 1:3
Chartres ASTT (FRA) – 1. FC Saarbrücken-TT (GER) 1:3
Text: Dr. Stephan Roscher
Fotos: TTF Liebherr Ochsenhausen (Gauzy m. Dyjas); Dr. Stephan Roscher (Gauzy, Boll)