Wollte man alle Regel- und Modus-Änderungen der letzten zwei Jahrzehnte zusammenstellen, die sich letztlich als für die Katz‘ erwiesen haben, man wäre eine Weile beschäftigt. Doch mit der neuen Halbfinal-Regelung könnte der TTBL ein großer Wurf gelungen sein.
Nun, am Sonntag sind die hoffnungsvollen Ochsenhausener von bissigen Maberzellern und einem angriffsfreudigen Wang Xi regelrecht überrumpelt worden, während die Düsseldorfer Borussia zwar starke Saarbrücker mit einem noch stärkeren Patrick Franziska zum Gegner hatte, letztlich aber doch „pflichtgemäß“ siegte.
Im Normalfall, also den Regularien bis einschließlich der Saison 2015/16, wäre bereits nach der ersten Halbfinal-Runde nahezu alle Spannung heraus und man könnte sich – ohne es diesen beiden Klubs zu missgönnen – behaglich auf das unvermeidliche Finale Düsseldorf vs. Fulda einrichten, bei dem dann lediglich die Frage offen bliebe, ob Boll und Kollegen mit 3:0 oder bloß mit 3:1 gewinnen.
Ein 0:3 bei einem dürftigen gewonnenen Satz könnten die von Maberzell eiskalt erwischten Ochsenhausener in der Festung HUBTEX Arena einfach nicht aufholen. Und den Saarbrückern würde kaum einer ein 3:0 oder 3:1 mit gutem Satzergebnis – im Hinspiel gab es ja nur ein 6:9 – in heimischer Halle über den zuletzt äußerst stabilen Rekordmeister zutrauen, auch wenn Franziska noch so sehr im Kommen ist. Doch diesmal verhält es sich anders.
Nun möchte man sich allerdings schon wünschen, um den neuen Modus richtig auskosten zu können, dass es zu mindestens einem dritten Semifinale kommt. Natürlich wollen das die beiden Sieger vom Sonntag mit aller Macht vermeiden, doch die Unterlegenen könnten das noch wahrmachen, sie brauchen ja „nur“ einen ganz, ganz knappen Sieg im Rückspiel – und schon beginnt alles wieder bei Null.
Und der ist zum Beispiel den Oberschwaben zuzutrauen, die Düsseldorf lieber nicht als Finalgegner sehen möchte, da diese für das „Dream-Team“ von der Spielweise her ziemlich unberechenbar sind und auch vor Boll nicht allzu viel Respekt haben. Das 3:0 der Osthessen war natürlich eine extrem starke Duftmarke, doch selbstredend klar unter Wert aus Sicht der TTF. Wenn die jungen Spieler das aus den Köpfen bekommen, ist auch in der „Höhle des Löwen“ noch etwas drin. Ruwen Filus hat trotz seiner momentanen Saisonbilanz von 5:0 gegen diesen Rivalen kein Abonnement auf Siege gegen Ochsenhausen gebucht und Wang Xi kann Simon Gauzy auch nicht jeden Tag abschießen. Diese taktische Variante, einen Angriffsspieler, der glaubte, alle Zeit der Welt zu haben und mit Wangs Schnittvariationen fürgewöhnlich gut zurechtkommt, mit fulminantem Angriff zu überraschen, ist nun durch und kaum ein zweites Mal anwendbar.
Es kann aber auch sein, dass die Filus-Truppe nun derart vor Selbstvertrauen strotzt, dass sie den TTF die zweite Klatsche innerhalb von sechs Tagen verpasst. Wer will da schon eine Prognose stellen. Hier bleibt es also spannend und gleiches gilt auch für die zweite Begegnung Saarbrücken vs. Düsseldorf. Natürlich erwarten fast alle nun einen klaren Erfolg der Borussen in der Joachim-Deckarm-Halle. Doch mit einem Franziska in Topform vorne und Baum oder Tokic, vielleicht sogar Apolonia an Position drei könnte ein Überraschungscoup möglich werden, auch wenn die Chancen auf dem Papier vielleicht bei 30:70 stehen mögen. Für die sicher gut 1.000 Zuschauer in Saarbrücken wird es auf jeden Fall ein Tischtennisfest – und für die 750 in der sicher rappelvollen Fuldaer Arena ebenso, sofern nicht am Ende doch der Gast jubelt.
Durch ist jedenfalls noch keiner, und das ist gut so! Das erzeugt nämlich Spannung und lässt niemanden zu siegesgewiss in die Rückspiele gehen, da es sich bitter rächen könnte. Vor allem sind die nervtötenden, spannungskillenden Rechenspielchen der Vergangenheit obsolet geworden. Keiner kann mehr in eine Partie gehen, in der nur noch zwei Sätze oder ein Match gewonnen werden müssen, so dass sich die Spieler schon vor dem Beginn des Rückspiels Gedanken machen, ob sie danach noch seriös zu Ende spielen, ein bisschen Schaukampf inszenieren oder urplötzlich Schmerzen im Schlagarm verspüren und abschenken sollten.
Nach dem alten Play-off-Mudus hätte Ochsenhausens Präsident Kristijan Pejinovic, als Realist bekannt, vermutlich am Sonntag gegen 17.30 Uhr zu Protokoll gegeben: „Glückwunsch an Fulda, sie waren heute bärenstark und haben sich durch diese Leistung den Einzug ins Finale verdient!“ Stattdessen lautete seine Aussage nach dem Desaster gegen Maberzell wie folgt: „Kein Grund, die Köpfe hangen zu lassen! Wir können von Glück sagen, dass es das neue System gibt und wir noch die Chance haben, alles auszubügeln. Eigentlich müssten die Jungs gleich wieder in die Trainingshalle. Jetzt gilt es, sich nochmals besonders gut vorzubereiten und unbedingt das dritte Spiel zu sichern. Ich erwarte eine Trotzreaktion.“
Lassen wir es gespannt auf uns zukommen. In wenigen Tagen schon wissen wir wesentlich mehr – der Terminplan ist gnadenlos. Zumindest zwischen erstem und zweitem Spiel, wer ein drittes schafft, darf dagegen mindestens zwei Wochen lang seine Mitte und seine Galaform suchen. Und am Ende findet er diese vielleicht sogar.
Play-off-Halbfinals, Runde 1
Borussia Düsseldorf – 1. FC Saarbrücken-TT 3:1
Timo Boll – Tiago Apolonia 3:2 (11:6, 8:11, 4:11, 11:3, 11:7)
Kristian Karlsson – Patrick Baum 3:1 (11:7, 11:8, 16:18, 13:11)
Stefan Fegerl – Patrick Franziska 0:3 (7:11, 6:11, 5:11)
Timo Boll – Bojan Tokic 3:0 (11:6, 11:8, 11:2)
TTF Liebherr Ochsenhausen – TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell 0:3
Yuto Muramatsu – Ruwen Filus 0:3 (19:21, 10:12, 10:12)
Simon Gauzy – Wang Xi 1:3 (8:11, 11:7, 1:11, 5:11)
Jakub Dyjas – Jonathan Groth 0:3 (8:11, 9:11, 7:11)
Play-off-Halbfinals, Runde 2
1. FC Saarbrücken-TT – Borussia Düsseldorf (13.04., 19.00 Uhr)
TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell – TTF Liebherr Ochsenhausen (15.04., 17.00 Uhr)
Play-off-Halbfinals, Runde 3 (falls erforderlich)
TTF Liebherr Ochsenhausen – TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell (29.04., 15.00 Uhr)
Borussia Düsseldorf – 1. FC Saarbrücken-TT (30.04., 15.00 Uhr)
Text & Foto: Dr. Stephan Roscher