Eine merk-, vielleicht auch denkwürdige Saison steht in der Damen-Bundesliga bevor. Nach den Rückzügen von Hövelhof, Essen und den Leutzscher Füchsen ist das Oberhaus auf ganze sieben Klubs geschrumpft. Spektakuläres tat sich indes auf dem Transfermarkt.
In der Mini-Liga – natürlich ist es auch ein Problem für die verbliebenen Klubs inklusive Aufsteiger Anröchte, dass so wenige Partien vermarktet werden können, es sei denn, man ist auch international aktiv – ist natürlich Triple-Sieger ttc berlin eastside wieder der Favorit, der Abstand zum vermutlich einzigen ernsthaften Berlin-Jäger dürfte aber deutlich geringer geworden sein.
Kolbermoor angelt sich Liu Jia
Der SV DJK Kolbermoor hat nämlich den spektakulärsten Transfer der letzten Jahre vollzogen. Keine Geringere als Österreichs Topspielerin Liu Jia, eigentlich aus Linz im Besonderen und der Alpenrepublik im Allgemeinen gar nicht wegzudenken, hat bei den Bayern unterschrieben. Ein Wahnsinns-Coup! Kaum einer hätte gedacht, dass die zierliche Österreicherin chinesischer Herkunft einmal in der deutschen Bundesliga landen würde. Nach sage und schreibe 20 Jahren hat sie dem europäischen Spitzenklub Linz AG Froschberg den Rücken gekehrt. Die 35-jährige Linkshänderin ist eine Tischtennis-Ikone und in Österreich fast so populär wie Werner Schlager, ein Tischtennis-Zugpferd ersten Ranges und in der gesamten Tischtennisszene extrem beliebt. „Susi“, im Juni noch die Nummer 13 der Welt und damit höher notiert als alle Berlinerinnen (inzwischen ist Shan Xiaona wieder an ihr vorbeigezogen), ist eine bärenstarke neue Nummer eins und hat sich mit den eastside-Assen in diversen Champions-League-Schlachten duelliert. 2005 war sie Europameisterin im Damen-Einzel, im selben Jahr gewann die fünfmalige Olympiateilnehmerin das Europe TOP 12, zehn Jahre später holte sie Gold beim neugeschaffenen Europe TOP 16.
Liest man die Aufstellung Kolbermoors mit Liu Jia, Kristin Silbereisen, Sabine Winter und der erfahrenen russischen Defensivspielerin Svetlana Ganina, von Hövelhof gekommen, klingt das nach einer europäischen Spitzenmannschaft. Klingt nicht nur so, ist es auch. Die von Bad Driburg mit positiver Erstliga-Rückrundenbilanz nach Kolbermoor gewechselte Katharina Michajlova ist eigentlich als Spitzenspielerin der 2. Mannschaft, die in der 3. Bundesliga Süd aufschlägt, vorgesehen. Von den beiden schwächeren Spielerinnen, immer relativ gesehen, Bernadette Balint und Sibel Remzy, hat man sich im Übrigen getrennt. Die Mannschaft ist klar besser aufgestellt als 2016/17, als sie auch schon Platz 2 erreichte und deutlich vor Bingen ins Ziel einlief.
Berlin holt Tie Yana
Dennoch dürfte Berlin noch einen Tick stärker sein. Normalerweise würde man nun aber sagen, dass eine Saison lang sei und so viel passieren könnte – ist sie aber nicht bei sieben Mannschaften. Dennoch gilt wohl, dass Berlin hoffen muss, dass keine Leistungsträgerin für längere Zeit ausfällt, etwa verletzungsbedingt. Denn dann wäre der ohnehin recht schmale Vorsprung – zumindest was die Einschätzung im Vorfeld der Saison betrifft – auf Kolbermoor dahin.
Doch auch der Titelverteidiger hat sich personell etwas einfallen lassen. Mit der Hongkong-Chinesin Tie Yana, die vor mehr als zehn Jahren mal ein ganz kurzes Gastspiel beim TV Busenbach gegeben hat, das wegen gleichzeitiger und somit nach deutschen Statuten irregulärer Spielberechtigung für zwei Klubs nicht wirklich erfreulich endete, ist die neue Nummer 2 des ttc. Die 38-jährige Asiatin, in der Weltrangliste etwas zurückgefallen und im Juli nur noch als Nummer 38 geführt, ist immer noch richtig gut.
Die 25-jährige Kathrin Mühlbach schloss sich ebenfalls den „eastsiderinnen“ an – sie kam von den Leutzscher Füchsen, die nun im Unterhaus aufschlagen. In Sachen Japan-Connection ist eastside schwächer geworden, letzte Saison standen immerhin noch Yui Hamamoto und Miyu Kato unter Vertrag. Beide sind nicht mehr an Bord, dafür hat Shiho Matsudaira angeheuert, deren Brüder in Deutschland wohlbekannt sind. Das kleine Schwesterlein verfügt, ebenso wie Kenta Matsudaira, über fantastische Aufschläge, ist im Spiel aber schwächer als Hamamoto oder Kato. Da die zuletzt im Mai-Welt-Ranking des Jahres 2016 auf Platz 125 geführte Japanerin aber ohnehin nur als Backup vorgesehen sein dürfte, ist das nichts, weswegen sich die Hauptstädter graue Haare wachsen lassen müssten. Als weitere Ergänzungsspielerin gesellt sich die 23-jährige Inderin Krittwika Roy hinzu (Weltrangliste Platz 264). Nicht nur Insider wissen inzwischen, dass Indien im Herren- und Damenbereich schwer im Kommen ist und über einen erheblichen Fundus starker und talentierter Tischtennisasse verfügt. U21-Europameisterin Chantal Mantz hat sich anderweitig orientiert und schlägt kommende Saison in der zweiten französischen Liga Pro B für Chesnay 78 AS auf.
Somit schickt Berlin Shan Xiaona, Tie Yana, Petrissa Solja, Georgina Pota, Kathrin Mühlbach, Shiho Matsudaira und Krittwika Roy in den Ring, um erneut Titel zu sammeln. Nicht übel sondern sogar ziemlich beeindruckend, jedoch nicht mehr konkurrenzlos.
Es könnte durch Kolbermoors Aufrüstung ein neuer Spannungsfaktor ins Oberhaus des deutschen Damen-Tischtennis kommen, der es aufwerten würde. Auf der anderen Seite ist es mit sieben Teams eigentlich lediglich der Hauch einer echten Liga, zu der eben auch sportlich ermittelte Absteiger gehören. Doch wir möchten den Blick noch auf die anderen fünf Klubs lenken, bei denen sich zum Teil auch Bemerkenswertes auf dem Personalsektor getan hat.
Großes Personalkarussell in Bad Driburg
Der TuS Bad Driburg hat zwar Katharina Michajlova verloren, steht aber trotzdem personell besser da als in der Vorsaison. Mit Nadine Bollmeier hat nämlich eine langjährige deutsche Nationalspielerin – vom TUSEM Essen gekommen – unterschrieben, fraglos eine substanzielle Verstärkung. Ebenfalls aus Essen kam Defensivspielerin Su Yan als neue Nummer drei. Und mit der 14-jährigen Sophia Klee, gerade bei den Jugend-Euros in Portugal im Einsatz und bei den Schülerinnen bisher ungeschlagene „Leaderin“ des DTTB-Teams, ist eines der Toptalente Deutschlands, ja Europas aus Hessen (SC Niestetal) zu den Kurstädtern gewechselt. Wie man hört, war sie von mehreren Bundesligisten umworben worden. Sie ist als Nummer 4 gemeldet, sogar noch vor Nina Mittelham, muss sich vermutlich aber erst einmal an die rauhe Bundesligaluft gewöhnen. Hinzu stieß mit Linda van de Leur-Creemers zudem eine alte Bekannte aus den Niederlanden, zuletzt bei Bundesliga-Aufsteiger TTK Anröchte unter Vertrag und dort die Nummer 1.
Mit Sarah de Nutte, Nadine Bollmeier, Su Yan, Sophia Klee, Nina Mittelham und Linda van de Leur-Creemers könnte sich der TuS mit der TTG Bingen/Münster-Sarmsheim um Rang drei streiten, die in unveränderter Besetzung in die Saison geht – Aufstellung: Ding Yaping, Hana Matelova, Wan Yuan, Marie Migot. Die eingespielte Truppe aus Rheinhessen, die in der Vergangenheit auch Pokal-Qualitäten unter Beweis gestellt hat, ist nicht einmal von Berlin und Kolbermoor im Schongang zu besiegen.
Der SV Böblingen hat eine sehr gute Rückrunde gespielt und bleibt personell unverändert in der Reihenfolge Qianhong Gotsch, Rosalia Stähr, Julia Kaim und Theresa Kraft. Platz 5 oder 6 könnte man sich für die Württembergerinnen in der neuen, kleineren aber stärker besetzten Liga vorstellen.
Dann hätten wir noch den TV Busenbach. Das starke, überaus erfahrene Spitzenpaarkreuz aus Tanja Krämer und Jessica Göbel ist geblieben, ebenso die junge Deutsch-Ungarin Leonie Hartbrich an Position 5. Gerne hätte man Jugendnationalspielerin Jennie Wolf gehalten, doch die hatte andere Pläne und schloss sich dem Zweitligisten TTC Weinheim an. Nicht mehr dabei ist auch die russischstämmige Niederländerin Yana Timina. In die 3. Liga zur TTG Süßen gewechselt ist Katharina Sabo. Gekommen ist als neue Nummer 3 Yvonne Kaiser vom TTV Hövelhof. Und an Position 4 steht das Pendant zu Sophia Klee, die 14-jährige Schülerinnen-Nationalspielerin Anastasia Bondareva, die wie Klee aus Hessen stammt und vom VfR Fehlheim nach Baden gewechselt ist.
Last not least Aufsteiger TTK Anröchte: Gekommen ist Shi Qi, zuvor in Bad Driburg aktiv – sie ist die neue Nummer 2 und folgt hinter Defensivkünstlerin Aimei Wang in der Aufstellungsliste. Es folgen Im Tableau mit Marta Golota (Polen), Elena Timina (Niederlande), Yang Henrich (Deutschland) und Li Wen Wen (China) bewährte Kräfte. Ein gewiss nicht schwacher Aufsteiger, der dem einen oder anderen Etablierten im Lauf der Runde durchaus ein Bein stellen könnte. Zudem spielt man frei und risikolos, da es keine sportlichen Absteiger geben wird.
Man wird fraglos eine Reihe hoch interessanter Partien in der deutschen Eliteliga 2017/18 erleben, jedoch bleibt abzuwarten, wie Fans und Sponsoren die Diskrepanz zwischen hitverdächtiger Besetzung und reduziertem Spielplan aufnehmen.
Text & Fotos (3): Dr. Stephan Roscher