Das letzte Turnier des Jahres ist keines wie jedes andere. Bei den Grand Finals in Astana (Kasachstan) ermitteln die 16 besten Spieler der World-Tour 2017 ihre Sieger. Ein einziges Match muss Dimitrij Ovtcharov gewinnen, um im Januar die Nummer eins der Welt zu werden.
Astana, die Hauptstadt der früheren Sowjet-Republik Kasachstan, ist bei uns allgemein recht wenig bekannt. Dennoch handelt es sich nicht um einen von Gott und der Welt verlassenen, abgeschiedenen Flecken, sondern um eine erstaunlich moderne 875.000-Einwohner-Stadt, ein gutes Stück größer als Frankfurt am Main. Das am Donnerstag im dortigen Sport Complex Daulet beginnende Turnier ist einer der Höhepunkte des Tischtennis-Jahres und mit einem hohen Preisgeld von insgesamt 1.000.000 US-Dollar dotiert – alleine jeweils 100.000 Dollar gehen an die Gewinner der Einzelwettbewerbe und immerhin noch 55.000 Dollar an die unterlegenen Finalisten. Zudem gibt es reichlich Weltranglistenpunkte zu holen.
In Astana könnte Dimitrij Ovtcharov sicherstellen, im Januar die neue Nummer eins der Welt zu werden – er wäre der zweite Deutsche nach Timo Boll auf der internationalen Spitzenposition. Dazu muss er „nur“ die erste Runde überstehen oder aber hoffen, dass Konkurrent Fan Zhendong (China) nicht Turniersieger wird. „Nur“ ist allerdings leicht daher gesagt. Im Achtelfinale am Freitag (9.40 Uhr deutscher Zeit) duelliert sich Dima, der 2017 schon sieben Turniererfolge feiern konnte, mit dem Japaner Koki Niwa – und gegen den Weltranglisten-Achten kann man schon verlieren, wenn nicht alles passt. Man kann nur hoffen, dass der 29-jährige Weltklassespieler aus Deutschland mit der Situation, um die Spitzenposition im Welt-Ranking zu spielen, einigermaßen gelassen umgehen kann. Ganz aus dem Kopf bekommen wird er diese prickelnde Konstellation nicht.
Gewinnt er, würde er definitiv im Januar als zweiter Deutscher nach Timo Boll vor fast 14 Jahren zur Nummer eins der Welt avancieren. Im Viertelfinale träfe er dann auf den Sieger der Partie Tomokazu Harimoto vs. Kirill Grassimenko – der Sprung ins Halbfinale wäre sicher nicht unwahrscheinlich.
Muss der topgesetzte Ovtcharov indes seinem japanischen Erstrunden-Gegner gratulieren, ist das Projekt Weltspitzenplatz für ihn noch nicht beerdigt. Doch in diesem Fall benötigt er Schützenhilfe – und die könnte gegebenenfalls sogar sein an zwei gesetzter Freund und Weggefährte Timo Boll leisten. Der Odenwälder trifft in der Auftaktrunde bereits am Donnerstagmorgen (9.40 Uhr) auf den Japaner Yuya Oshima – kein Spaziergang aber lösbar. Gewinnt Boll, würde er in der folgenden Runde auf den Sieger des Matchs Vladimir Samsonov vs. Wong Chun Ting treffen. Und würde er auch das heil überstehen – bei seiner zuletzt gezeigten Form nicht unwahrscheinlich –, würde er im Halfinale vermutlich auf Fan Zhendong treffen. Und der darf das Turnier nicht gewinnen, wenn Ovtcharov tatsächlich die Nummer eins der Welt werden will, vorausgesetzt, er schafft das nicht aus eigener Kraft gegen Koki Niwa. Boll hätte nichts dagegen, wenn nötig, dem momentanen Weltranglisten-Dritten aus der Patsche zu helfen, was ja auch im eigenen Interesse wäre: „Dima kann in Astana die Nummer eins der Welt werden. Das ist etwas sehr Besonderes und wäre toll für das Tischtennis – vor allem natürlich für Deutschland.“ Diese Grand Finals versprechen also Spannung wie nie zuvor.
An Bundesligaspielern ist neben Boll nur noch der Grenzauer Kirill Gerassimenko als – vermutlich chancenloser – Platzhirsch dabei und natürlich der Ochsenhausener Simon Gauzy. Gauzy, zuletzt in der Weltrangliste von Platz acht auf elf zurückgefallen, könnte sich bei den Grand Finals wichtige Punkte sichern, um wieder unter die TOP 10 zu gelangen. Er ist in dem 16-köpfigen Teilnehmerfeld an Position sieben gesetzt. Zuletzt war sein Akku etwas leer, zudem laborierte der 23-jährige Weltklassespieler an Rückenproblemen. Doch ein derart hochkarätiges Turnier setzt im Normalfall neue Kräfte und reichlich Adrenalin frei, so dass dem Franzosen durchaus etwas zuzutrauen ist. Allerdings gibt es bei einem solchen Event der Superlative naturgemäß keine leichten Gegner. Es geht von der ersten Runde an – gleichbedeutend mit dem Achtelfinale – richtig zur Sache und wer verliert, ist draußen. Die Auslosung hat ergeben, dass Gauzy zunächst den Chinesen Fang Bo aus dem Weg räumen muss (Freitag, 10.30 Uhr deutscher Zeit). Sollte er die Partie gegen den Weltranglisten-Zwölften überstehen – an einem guten Tag ist das keineswegs unmöglich –, könnte auch der Viertelfinal-Gegner aus dem Reich der Mitte kommen. Der Sieger aus dem Match Lin Gaoyuan (China, Weltrangliste Platz 6) und Masaki Yoshida (Japan, WRL 22) wäre dann nämlich Gauzys Kontrahent in der Runde der besten Acht.
Im Herren-Doppel sind Patrick Franziska/Jonathan Groth mit von der Partie. Da der Wettbewerb mit dem Viertelfinale beginnt, bräuchten die Europameister von 2016 nur einen Sieg zur Medaille. Chen Chien-An/Chiang Hung-Chieh aus Taiwan müssten dazu aber am Donnerstagfrüh geschlagen werden – eine hohe Hürde aber nicht unlösbar. Qualifiziert waren auch die Deutschen Meister Ruwen Filus/Ricardo Walther, mussten jedoch aufgrund einer Knochenhautentzündung des Grünwettersbachers kurzfristig absagen.
Bei den Damen sind fünf Top-Chinesinnen am Start. Zhu Yuling und Chen Meng heißen die Favoritinnen, doch auch der neue Shootingstar Chen Xingtong, als Geheimtipp gehandelt, sowie Wang Manyu und Guo Yuting sind nicht zu unterschätzen. Da die beiden DTTB-Damen im Achtelfinale auf ranghöhere Gegnerinnen treffen, ist kaum mit einem Weiterkommen zu rechnen. Die japanische Weltranglisten-Fünfte Kasumi Ishikawa, Gegnerin von Han Ying (Freitag 8.00 Uhr), spielt gut gegen Abwehr – jedenfalls besser als Mima Ito oder Miu Hirano. Und Shan Xiaona muss bereits am Donnerstagmorgen (8.50 Uhr) gegen Chen Xingtong ran. Die 20-jährige Chinesin ist zwar im Moment „erst“ auf Weltranglistenplatz zehn angekommen, hat aber zuletzt wahnsinnig gute Turniere gespielt und bei den Swedish Open sogar Ding Ning alt aussehen lassen. Realistisch betrachtet ist Chen einfach eine ganze Klasse besser als die Berliner Bundesligaspielerin.
HERREN-EINZEL
Achtelfinale
Dimitrij Ovtcharov GER – Koki Niwa JPN (Freitag, 9.40 Uhr)
Tomokazu Harimoto JPN – Kirill Grassimenko KAZ (Freitag, 10.30 Uhr)
Fang Bo CHN – Simon Gauzy FRA (Freitag, 10.30 Uhr)
Lin Gaoyuan CHN – Masaki Yoshida JPN (Donnerstag, 10.30 Uhr)
Fan Zhendong CHN – Chuang Chih-Yuan TPE (Donnerstag, 9.40 Uhr)
Xu Xin CHN – Kenta Matsudaira JPN (Donnerstag, 10.30 Uhr)
Vladimir Samsonov BLR – Wong Chun Ting HKG (Freitag, 9.40 Uhr)
Timo Boll GER – Yuya Oshima JPN (Donnerstag, 9.40 Uhr)
Viertelfinale
Freitag, 13.50 und 15.30 Uhr
Samstag, 8.50 Uhr und 10.30 Uhr
Halbfinale
Samstag, 13.50 und 15.30 Uhr
Finale
Sonntag, 12.50 Uhr
DAMEN-EINZEL
Achtelfinale
Chen Meng CHN – Doo Hoi Kem HKG (Donnerstag, 8.00 Uhr)
Feng Tianwei SGP – Chen I-Ching TPE (Donnerstag, 8.00 Uhr)
Miu Hirano JPN – Guo Yuting CHN (Donnerstag, 8.50 Uhr)
Han Ying GER – Kasumi Ishikawa JPN (Freitag, 8.00 Uhr)
Mima Ito JPN – Mori Sakura JPN (Freitag, 8.50 Uhr)
Shan Xiaona GER – Chen Xingtong CHN (Donnerstag, 8.50 Uhr)
Zhu Yuling CHN – Hina Hayata JPN (Freitag, 8.50 Uhr)
Wang Manyu CHN – Hitomi Sato JPN (Freitag, 8.00 Uhr)
Viertelfinale
Freitag, 13.00 und 14.40 Uhr
Samstag, 8 Uhr und 9.40 Uhr
Halbfinale
Samstag, 13.00 und 14.40 Uhr
Finale
Sonntag, 12.00 Uhr
HERREN-DOPPEL
Viertelfinale
Jin Ueda/Mahara Yoshimura JPN – Robin Devs/Cedric Nuytinck BEL (Donnerstag, 6.20 Uhr)
Ho Kwan Kit/Wong Chun Ting HKG – Gao Ning/Pang Xue Jie SGP (Donnerstag, 7.00 Uhr)
Patrick Franziska GER/Jonathan Groth DEN – Chen Chien-An/Chiang Hung-Chieh TPE (Donnerstag, 6.20 Uhr)
Masataka Morizono/Yuya Oshima JPN – Tomokazu Harimoto/Yuto Kizukuri JPN (Donnerstag, 7.00 Uhr)
Halbfinale
Freitag, 5.50 Uhr
Finale
Sonntag, 9.50 Uhr
DAMEN-DOPPEL
Viertelfinale
Hina Hayata/Mima Ito JPN – Barbora Balazova/Hana Matelova CZE (Donnerstag, 5.40 Uhr)
Doo Hoi Kem/Lee Ho Ching HKG – Chen Szu-Yu/Cheng I-Ching TPE (Donnerstag, 5.00 Uhr)
Matilda Ekholm SWE/Georgina Pota HUN – Honoka Hashimoto/Hitmoi Sato JPN (Donnerstag, 5.00 Uhr)
Chen Meng/Zhu Yuling CHN – Ng Wing Nam/Soo Wai Yam Minnie HKG (Donnerstag, 5.40 Uhr)
Halbfinale
Freitag, 5.00 Uhr
Finale
Sonntag, 9.00 Uhr
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Text & Fotos (2): Dr. Stephan Roscher
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