Einen Monat ist es her, dass Titelverteidiger ttc berlin eastside und der TSV Schwabhausen die Bundesligasaison mit einem überraschenden Remis eröffneten, nun steht am Sonntag ab 14 Uhr in Langstadt die zweite Partie der Saison auf dem Programm, wo der stark einzuschätzende Aufsteiger Weil seine Visitenkarte abgibt.
Weil kann personell aus dem Vollen schöpfen, Langstadt nicht
Der personell gut verstärkte TSV Langstadt gegen Aufsteiger ESV Weil, der am Sonntag zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte im Oberhaus aufschlägt – normalerweise sollte man da von einer Pflichtübung für die Südhessinnen um ihren Topstar Petrissa Solja ausgehen, die 2019 immerhin im Play-off-Halbfinale gestanden haben. Doch ganz so eindeutig sind die Verhältnisse nicht. Weil ist für einen Aufsteiger ausgesprochen gut und vor allem ausgeglichen besetzt, hat alle Spielerinnen inklusive der Ausländerinnen an Bord und konnte bereits beim Pokal-Qualifikationsturnier in Berlin mit dem Final-Four-Einzug Akzente setzen. Langstadt muss dagegen Corona-bedingt weiterhin auf die Einreise seiner Nichteuropäerinnen warten, von denen natürlich nur eine spielen könnte. Aber eine starke Nummer zwei kann schon eine Menge bewirken. Am Sonntag wird der Gastgeber, den Umständen geschuldet, ein nur aus deutschen Spielerinnen bestehendes Team in die Box schicken. Leicht favorisiert gehen die Hessinnen dennoch in die Partie, als Topfavoriten kann man sie in Anbetracht der Umstände indes nicht bezeichnen.
Langstadts Kader stärker denn je
Die Langstädter Mannschaft wurde mit Augenmaß verstärkt. Mit der ehemaligen Deutschen Meisterin Tanja Krämer vom TV Busenbach kam eine erfahrene Spielerin. In den letzten Jahren hat sie immer im oberen Bundesliga-Paarkreuz aufgeschlagen und dort zuletzt eine 8:10-Bilanz erzielt. Verpflichtet wurde zudem das 18-jährige deutsche Toptalent Franziska Schreiner nebst ihrer Mutter Yunli, die mit ihren 55 Jahren letzte Saison noch für den französischen Topklub Metz spielte. Die Abgänge von Monika Pietkiewicz, die zum Drittligisten ASC Göttingen wechselte, und der ohnehin im Oberhaus nur sporadisch eingesetzten Anne Bundesmann (zum Drittligisten Staffel) fallen demgegenüber nicht so sehr ins Gewicht.
„Wir möchten uns weiter sportlich verbessern“, sagt der Sportliche Leiter Manfred Kämmerer. „Mit Yunli Schreiner, Tanja Krämer und Franziska Schreiner haben wir uns sicher gut verstärkt, um eine gute Rolle zu spielen. Ziel ist das Play-Off-Halbfinale.“ Doch es gibt einige Fragezeichen: „Ob wir dieses erreichen, wird im Wesentlichen auch davon abhängen, wie oft unsere ausländischen Spielerinnen zu den Spielen anreisen dürfen.“ Auch weiterhin gehören nämlich die spielstarke Taiwanerin Cheng Hsien-Tzu sowie die ägyptische Weltranglisten-32. Dina Meshref dem TSV-Kader an. Beide können derzeit noch nicht zum Team stoßen. Natürlich betrifft das Problem mit ausländischen Spielerinnen viele Bundesligisten. Die unumstrittene Nummer eins des TSV ist aber eine Deutsche. Die 26-jährige Pfälzerin Petrissa Solja, aktuelle Nummer 20 der Welt, wird die Truppe auch in der neuen Saison anführen.
Sehr zur Freude der TSV-Fans, die allerdings im Zuge der Corona-Regularien nicht in so reicher Zahl wie gewohnt in die Eckehard-Colmar-Halle strömen dürfen. „Wir hatten in den vergangenen Jahren einen sehr guten Zuschauerzuspruch“, unterstreicht Kämmerer. „In unserer kleinen Halle war dies ein echter Heimvorteil. Jetzt dürfen wesentlich weniger Zuschauer in unsere Halle. Ein klarer Nachteil für uns.“ Der Spielbetrieb wird ein anderer sein, so auch in Bezug auf das Spielsystem. Im Gegensatz zum Pokal entfallen nämlich die Doppel, dafür werden sämtliche Einzel, acht an der Zahl, ausgespielt.
ESV Weil: Aufsteiger mit fünf gleichwertigen Spielerinnen
„Weil hat sich insbesondere im hinteren Paarkreuz sehr gut verstärkt und möchte auch in der Bundesliga eine gute Rolle spielen“, analysiert Langstadts Coach Thomas Hauke den Gegner. Beim Pokal-Qualifikationsturnier in Berlin konnte man den etablierten Bundesligisten Bingen ausschalten und hat dabei seine Ligatauglichkeit nachdrücklich unter Beweis gestellt. Gerade die neu verpflichtete junge Serbin Izabela Lupulescu hatte mit ihrem Erfolg über die deutsche Nationalspielerin Chantal Mantz wesentlichen Anteil am Einzug ihres Teams ins Final Four. Die 17-jährige Nordhessin Sophia Klee, DTTB-Hoffnungsträgerin im Nachwuchsbereich, hat letzte Saison in Bad Driburg bereits eine hoch positive Bilanz erspielt (11:4). Im vorderen Paarkreuz schlagen mit der Ukrainerin Ievgeniia Sozoniuk und der Bulgarin Polina Trifonova spielstarke Osteuropäerinnen auf. Und hinten steht auch noch die 22-jährige Vivien Scholz zur Verfügung, in der letzten Zweitligasaison in überragender Form, die diesmal beinahe beim Topklub ttc berlin eastside gelandet wäre.
„Weil ist ausgeglichen gut besetzt, dazu scheint eine große Euphorie gerade auch nach dem Pokalerfolg da zu sein. Das wird sicher eine schwere Aufgabe“, meint Manfred Kämmerer. „Wir wollen aber unbedingt mit einem positiven Erlebnis vor unseren Fans in die Saison starten.“ Der Verein äußert sich wie gewohnt nicht zur Aufstellung, macht aber Andeutungen. So sagt der Sportliche Leiter: „Personell stehen aufgrund der Reisebeschränkungen einige Fragezeichen im Raum. Wir haben mit Tanja Krämer aber auch nicht ohne Grund eine Spielerin geholt, die in der letzten Saison gezeigt hat, dass sie auch im vorderen Paarkreuz ihre Spiele gewinnen kann.“ Übersetzt dürfte das bedeuten, dass vorne mit Solja und Krämer gespielt wird, während im hinteren Paarkreuz mit den beiden Schreiners zu rechnen sein könnte.
„Wir freuen uns sehr auf das erste Heimspiel, wenn auch vor wenigen Zuschauern aber immerhin, und wollen auf jeden Fall die ersten beiden Punkte holen“, lässt Tanja Krämer keinen Zweifel aufkommen. Zu den Saisonzielen der Südhessen äußert sich die Deutsche Einzelmeisterin von 2008 wie folgt: „Im Vorfeld bin ich davon ausgegangen, dass wir uns in Richtung TOP 3 orientieren sollten, aber durch die Pandemie und die fraglichen Einsätze unserer Ausländerinnen wird dieses Vorhaben nicht einfacher, dennoch sollten wir uns einen Platz für die Play-offs sichern können.“
Der ESV Weil kann gelassen die 320 Kilometer weite Reise antreten. Als Liganeuling hat man wenig zu verlieren, könnte jedoch den seit zwei Jahren im Oberhaus etablierten Gegner gehörig ärgern. „Wir gehen natürlich sehr gespannt in unser erstes Spiel in der 1. Bundesliga“, unterstreicht Doris Spiess. „Für uns ist Langstadt aber schon klarer Favorit, vor allem, wenn sie komplett antreten können. Nur wenn nicht alle Spielerinnen von Langstadt vor Ort sind, haben wir Außenseiterchancen.“ Abschließend betont die Abteilungsleiterin des ESV Weil: „Bei uns sind alle Spielerinnen vor Ort und heiß auf das erste Match.“
Beitragsbild oben: Als Spitzenspielerin des TSV Langstadt unangefochten: Petrissa Solja.
Text & Fotos (2): Dr. Stephan Roscher