Nur 75 Zuschauer durften sich Corona-bedingt die Bundesliga-Auftaktpartie des TSV Langstadt gegen den gut verstärkten Aufsteiger Weil live in der Eckehard-Colmar-Halle anschauen. Keiner davon bereute sein Kommen, da in den 195 Minuten durchweg rassiges Wettkampftischtennis auf ansprechendem Niveau zu bewundern war. Langstadt, das zwischenzeitlich mit 5:0 geführt und damit vorzeitig den Sieg bereits in der Tasche hatte, war den entscheidenden Tick besser, ohne den Gegner vom Tisch fegen zu können – dazu war die Mannschaft aus dem südbadischen Dreiländereck zu stark besetzt. Am Ende hieß es 6:2 für die Hessinnen.
Der Gastgeber hatte überraschend die ägyptische Weltranglisten-32. Dina Meshref an Bord, die nach negativem Corona-Test einige Tage zuvor einreisen durfte. Somit kam es nicht zum eigentlich erwarteten „Familientreff“ im hinteren Paarkreuz mit Franziska Schreiner und ihrer Mutter Yunli. Weil erlaubte sich den „Luxus“, mit der letztjährigen Leistungsträgerin Vivien Scholz, die beinahe zum ttc berlin eastside gewechselt wäre, eine Spielerin auf der Bank zu lassen, die in der 2. Liga nur drei Matches verloren hatte.
Zum Auftakt hatte Petrissa Solja, bei der noch nicht alles rund lief, mehr Mühe mit der hochgewachsenen Bulgarin Polina Trifonova, als ihr lieb sein konnte. Nach ihrem 3:2-Erfolg atmete die Spitzenspielerin des TSV tief durch. Am Nebentisch hatte Dina Meshref ihre erste Aufgabe zügiger über die Bühne gebracht und der Ukrainerin Ievgeniia Sozoniuk beim 11:6, 11:9, 11:6 keine echte Chance gelassen. „Dina hatte seit Februar keine Wettkämpfe mehr bestritten“, freute sich der Sportliche Leiter Manfred Kämmerer. „Umso erstaunlicher war dieser souveräne Auftritt gegen Sozoniuk. Vielleicht macht sich da schon das intensive Training mit einem chinesischen Trainer in den letzten Wochen bemerkbar, der ihr von ihrem Verband mit Blick auf die Olympischen Spiele zur Seite gestellt wurde.“
Im hinteren Paarkreuz hielt Tanja Krämer die 17-jährige Sophia Klee, die letzte Saison in Bad Driburg mit einer 11:4-Bilanz geglänzt hatte, mit all ihrer Routine und taktischen Cleverness in vier Durchgängen auf Distanz. Die glänzend aufgelegte Franziska Schreiner konnte bei ihrem ersten Bundesligaauftritt für den Klub aus Südhessen – für manche überraschend – gegen die serbische Meisterin Izabela Lupulescu nachlegen. Nur noch ein Matchgewinn fehlte zum fünften Punkt, der bei acht auszutragenden Duellen naturgemäß den Siegpunkt bedeutet. Petrissa Solja blieb es vorbehalten, den TSV-Sieg durch einen souveränen Dreisatz-Erfolg über Sozoniuk in trockene Tücher zu packen.
Dina Meshref konnte ihr zweites Einzel gegen die auch kämpferisch bärenstarke Polina Trifonova nicht nach Hause bringen und zog in vier umkämpften Sätzen den Kürzeren. Auch die routinierte Tanja Krämer musste im zweiten Spiel eine Niederlage quittieren. Gegen Lupulescu verlor sie ein enges Fünf-Satz-Match. Doch es gab ja noch „Franzi“ Schreiner, die im Match der DTTB-Nachwuchsasse gegen Sophia Klee beim 12:14, 11:6, 11:7, 11:7 einen weiteren überzeugenden Auftritt hinlegte. „Ich bin natürlich rundum zufrieden mit zwei Einzelerfolgen“, freute sich Langstadts jüngste Spielerin. „Gerade im ersten Spiel konnte ich nach 0:2-Satzrückstand noch eine Schippe drauflegen.“
„Wir wussten, dass Weil kein einfacher Gegner ist“, so Manfred Kämmerer. „Alle vier Spielerinnen haben gut gespielt und etwas zum Sieg beigetragen. Hervorheben möchte ich unser 18-jähriges „Nesthäkchen“ Franziska Schreiner, die bei ihrem Bundesligadebüt im TSV-Dress eine tolle Leistung gezeigt hat. Sowohl gegen Lupulescu als auch gegen Klee zu gewinnen, besser konnte ihr Einstand nicht sein.“
„Es hat wieder richtig Spaß gemacht in Langstadt zu spielen. Trotz der für unsere Verhältnisse wenigen Zuschauer war es eine gute Stimmung“, so Petrissa Solja. „Die Rahmenbedingungen waren aber schon gewöhnungsbedürftig. Das Einlaufen mit den Kids hat gefehlt.“ Zum Sportlichen sagte die aktuelle Nummer 20 der Welt: „Mein erstes Spiel war etwas holprig, aber meine Gegnerin hat sich auch gut in das Match gekämpft. Ich war froh, dass ich den Punkt für Langstadt geholt habe. Im zweiten Spiel lief es dann schon viel besser.“ Dina Meshref sah Licht und Schatten bei sich: „Ich habe seit Februar keinen Wettkampf mehr gespielt, da war ich schon etwas unsicher wie ich ins Match reinfinde. Das hat im ersten Spiel sehr gut geklappt. Trifonova hat dann im zweiten Spiel sehr stark gespielt und nahezu keine Fehler gemacht, da war es schwer ins Spiel zu finden.“ Auch Tanja Krämer zeigte sich selbstkritisch: „Nach meinem überzeugenden ersten Spiel habe ich in meinem zweiten Spiel gerade zum Schluss oftmals falsche Entscheidungen getroffen. Insgesamt sind wir aber natürlich sehr froh, einen erfolgreichen Start hingelegt zu haben.“
„Aus unserer Sicht geht das Ergebnis in Ordnung, Langstadt war ja Favorit, besonders in dieser Aufstellung“, sagt Doris Spiess. „Wenn wir unsere Chancen besser genutzt hätten, wäre vielleicht noch ein Punkt mehr drin gewesen. Vor allem das Spiel von Izabela Lupulesku gegen Franzi Schreiner hätten wir nicht verlieren dürfen.“ Die Abteilungsleiterin des ESV sah aber auch Erfreuliches: „Besonders angenehm überrascht waren wir von der Leistung von Polina Trifonova, die Petrissa Solja an den Rand einer Niederlage brachte und dann gegen Dina Meshref gewann.“ Doch in Weil bleibt man realistisch: „Alles in allem war es ein gerechtes Ergebnis. Wir müssen unsere Chancen gegen schwächere Mannschaften suchen und dann auch nutzen.“
Natürlich ist es nur eine Momentaufnahme, jedoch eine überaus angenehme aus Sicht des TSV Langstadt, der nach zwei Bundesligapartien – vor einem Monat hatten sich Berlin und Schwabhausen die Punkte geteilt – die Tabelle anführt. Somit empfangen Solja und Co. am kommenden Sonntag als Ligaprimus Topfavorit ttc berlin eastside zum Spitzenspiel. Eine Woche später steht auch Weil wieder im Fokus, nämlich beim mit Spannung erwarteten Heimdebüt gegen die SV Böblingen. Der Liganeuling aus Süd/Südwest könnte im Lauf der Saison noch manchem etablierten Bundesligisten ein Bein stellen, die Mannschaft hat, wie schon beim Pokalturnier in Berlin unter Beweis gestellt, Substanz.
Beitragsbild oben: Franziska Schreiner zeigte gegen Weil eine richtig gute Performance.
Text & Fotos: Dr. Stephan Roscher