Die Chinesen überlassen ihre Erfolge ungern dem Zufall. Daher hatten sie ein Testturnier für Olympia einberufen, welches am Freitag zu Ende ging. Überraschender Sieger des Herrenwettbewerbes wurde der 24-Jährige Zhou Qihao, bei den Damen ging der Titel wie erwartet an Chen Meng.
Zhou überrascht alle
Für Zhou Qihao war es wohl das Turnier seines Lebens. Denn schon im Halbfinale hatte der Rechtshänder den amtierenden Olympiasieger Ma Long mit 4:3 bezwungen, in der Runde davor auch A-Nationalspieler Liang Jingkun. Besonders überraschend: Auf der internationalen Bühne konnte Zhou bislang noch nicht überzeugen. Auf seinen World-Tour Auftritten im Jahr 2020 schied er jeweils gegen Kanak Jha bzw. Darko Jorgic aus und in der Weltrangliste wird er auf Position 122 geführt – hinter Spielern wie Aleksandar Karakasevic oder Robin Devos.
Beim Olympiatest zeigte Zhou jedoch ein anderes Gesicht: Selbst Fan Zhendong konnte ihn im Finale nicht stoppen und hatte mit 2:4 das Nachsehen. Nachdem der Underdog zunächst noch mit 1:2 zurücklag, gewann er alle drei folgenden Sätze und konnte überglücklich die Faust ballen. Zhou: „Ich hätte das niemals erwartet. Von der Gruppenphase bis zum Finale habe ich gegen überragende Athleten gespielt, sodass ich immer gefordert war.“ Darüber hinaus: „In diesem Turnier habe ich 120 Prozent meines Levels gespielt.“ Insbesondere im Endspiel war es erstaunlich, mit welcher Sicherheit Zhou selbst Hochrisikobälle in alle Ecken des Tischen mit traumwandlerischer Sicherheit platzierte. Im Spiel um Platz drei gewann Ma Long gegen Wang Chuqin mit 3:1 und holte somit immerhin Bronze.
Für Zhou bedeutet der Triumph auch, dass er sich für die WM in Houston qualifiziert hat. Denn neben dem reinen Testen für Olympia wurden auch Startplätze für das zweitwichtigste Turnier der Tischtennis-Szene vergeben. Was auffiel: Die Chinesen nahmen diesen Wettbewerb extrem ernst. Sowohl die Aufmachung bspw. mit ständiger TV-Übertragung als auch die vielen Emotionen, die im Verlaufe zum Vorschein kamen, sorgten für hochkompetitive Wettkämpfe. Ma Long dazu: „Wir haben seit fast einem halben Jahr keinen Wettbewerb mehr bestritten, und die Austragung dieser Konkurrenzen ist für unsere Olympiavorbereitung sehr wichtig.“
Chen Meng gewohnt souverän
Bei den Damen setzte sich die große Favoritin und Weltranglistenerste Chen Meng souverän durch. Die Topanwärterin auf olympisches Gold siegte auch im Finale gegen ihre Teamkollegin Sun Yingsha mit 4:2 und scheint schon wenige Monate vor dem Saisonhighlight in Japan in Bestform. Wenig überzeugend war dagegen die Vorstellung von Liu Shiwen: Die amtierende Weltmeisterin im Einzel war gegen Zhu Yuling chancenlos mit 0:4 untergegangen. Die chinesischen Trainer stehen nun vor einer schwierigen Entscheidung: Setzen sie darauf, dass Liu nach ihrer Verletzung im Februar 2020 wieder rechtzeitig vor Tokio in Topform sein wird, oder geben sie den Einzelstartplatz an eine der jungen Spielerinnen wie Wang Manyu oder Sun Yingsha.
Im Mixed-Doppel konnte sich dagegen eine Paarung durchsetzen, die garantiert nicht in Japan auflaufen wird. Ma Te und Liu Fei, zwei Abwehrkünstler, gewannen das Finale gegen Zhou Yu und Chen Xingtong. Nachdem Hou Yingchao schon chancenlos in der Gruppe ausgeschieden war, gab es somit auch noch einen Erfolg für die Verfechter defensiver Spielweisen. Nettes Extra: Durch ihren Sieg werden die beiden auch bei den WTT Grand Slams antreten dürfen. Für Tokio ist aber die Paarung von Xu Xin und Liu Shiwen schon gesetzt.
Olympia-Nominierungen bis zum 15. Mai
Die restlichen Olympia-Nominierungen müssen nun bis zum 15. Mai getroffen werden. Während Ma Long, Fan Zhendong und Xu Xin bereits feststehen, wird sich das vierte Ticket wohl Wang Chuqin sichern. Der mit Chen Meng liierte Linkshänder konnte mit dem Erreichen des Halbfinales die Erwartungen erfüllen, wohingegen seine Konkurrenten Lin Gaoyuan und Liang Jingkun bereits frühzeitig die Segel streichen mussten. Bei den Damen scheint Liu Shiwen trotz ihrer Formschwäche weiterhin als wahrscheinlichste Anwärterin auf den zweiten Einzelstartplatz. Die chinesischen Trainer bevorzugen traditionell konservative Lösungen mit Spielern, die bereits bei den größten Turnieren Erfahrungen sammeln konnten. Für Wang Manyu oder Sun Yingsha würde es dagegen jeweils die Debütteilnahme bei Olympia bedeuten.
Die Entscheidungen stehen nun bevor. Wie üblich, ist als Ziel der Gewinn aller Goldmedaillen in Tokio ausgeschrieben. Nach dem Maßstab werden nun auch die Nominierungen erfolgen, denn: Dem Zufall möchten die Chinesen bekanntlich nichts überlassen.
Text: Ludger Santel
Fotos: Johannes Gohlke