Unseren heutigen Interviewpartner werden nicht alle Leser kennen, obwohl er in einigen Bereichen der Tischtenniswelt (teilweise im Hintergrund) tätig ist. Michael Fuchs lebt für den Tischtennissport, hat tiefe Einblicke und könnte sicher so einiges erzählen.
Hallo Michael! Danke, dass du dir Zeit für unser Interview nimmst.
Du bist 2013, also mit 24 Jahren, zum SV DJK Kolbermoor gewechselt. Vier Jahre später wurdest du Abteilungsleiter sowie Cheftrainer und Manager der 1. Damenmannschaft, die in der 1. Bundesliga seit vielen Jahren zu den Titel-Aspirantinnen zählt.
War das damals zum Zeitpunkt deines Wechsels schon abzusehen, dass du in Kolbermoor Verantwortung übernehmen wirst?
Nein, das war damals noch nicht abzusehen. Ich hatte in den Jahren davor schon Kontakt zum Verein und habe seitdem ich Jugendspieler war, immer wieder mal Lehrgänge von Zsolt [Hollo] besucht, der mich dann auch irgendwann gefragt hatte, ob ich nicht nach Kolbermoor kommen will. Ich habe seitdem als Trainer im Jugendbereich mitgeholfen. Ich wurde in die Organisation eingebunden, speziell bei unserer Bundesligamannschaft, und als Zsolt dann teilweise auch terminliche Überschneidungen hatte, habe ich bei Auswärtsspielen der 1. Damenmannschaft als zweiter Betreuer ausgeholfen.
Das wurde mit der Zeit immer mehr und als der damalige Abteilungsleiter Günther Lodes nach 40 Jahren in seiner Funktion etwas kürzertreten wollte, hat er mich gefragt, ob er mich als seinen Nachfolger vorschlagen darf. So war ich dann plötzlich nicht nur Coach der 1. Damenmannschaft, sondern auch Abteilungsleiter des SV DJK Kolbermoor.
Nicht nur im Verein bist du sehr engagiert. Seit einigen Jahren bist du auch schon für die ETTU und ITTF tätig. Was genau sind dort genau deine Aufgaben und wie bist du dazu gekommen?
Grundsätzlich bin ich Sportwissenschaftler und mein Bereich ist Tischtennis. Als ich noch als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU München war, habe ich gerade in der Spielanalyse Forschung betrieben und Studien durchgeführt bzw. Software/Unterstützungssysteme entwickelt.
Die Tischtennisforschung ist eine kleine Welt, so dass ich über erste Kontakte beim ITTF Sports Science Congress 2015 in China immer tiefer in diesen Bereich „gerutscht“ bin und ein entsprechendes Netzwerk aufbauen konnte. Dadurch, dass ich dort sehr aktiv war, wurde ich 2017 für das ITTF Sports Science Committee nominiert und bin auch gewählt worden.
Diese Committees sind ehrenamtlich – gerade im Bereich der Wissenschaft entstehen durch solche Netzwerke viele gemeinsame Forschungsprojekte und Studien.
Bei der ETTU habe ich an einem Projekt – initiiert von der Holländerin Irene Faber – mitgearbeitet, indem es um Talentsichtung und -entwicklung geht.
Für dieses Projekt haben wir bzw. Miran Kondric (der Chair des ITTF Sports Science Committees) und ich jährlich bei ETTU Lehrgängen in Slowenien verschiedene Tests mit den ganz jungen Talenten durchgeführt.
Sehr interessant!
Durch deine Arbeit als Sportwissenschaftler bist du auch zum Deutschen Behindertensportverband gekommen. Dort arbeitest du als Co-Bundestrainer Analyse. Nachdem du uns erklärt hast, wie du zu deinen Kontakten bei der ITTF und zu deinen Ämtern beim SV DJK Kolbermoor gekommen bist, ist es natürlich auch interessant, wie du zum DBS gekommen bist und was als Co-Bundestrainer Analyse deine genauen Aufgaben sind?
Während meiner Zeit an der TU München haben wir mehrere BISp (Bundesinstitut für Sportwissenschaft) Projekte im Bereich Wettkampfdiagnostik im Tischtennis durchgeführt. Zuerst ein Forschungsprojekt in Kooperation mit dem DTTB und danach dann mehrere Projekte mit dem DBS im Para Tischtennis.
Bei den Projekten im Para Tischtennis ging es unter anderem auch um Wettkampfbetreuung und -vorbereitung.
Das hat so gut funktioniert und entsprechende Früchte getragen, dass der DBS Mittel beantragt hat, um in diesem Bereich eine eigene Stelle zu schaffen. Als diese Mittel gewährt wurden und der DBS die Stelle ausgeschrieben hat, habe ich mich darauf beworben und am Ende auch bekommen.
Grundsätzlich bin ich für die wissenschaftliche Unterstützung des Teams verantwortlich, speziell im Bereich Spielanalyse.
Das beinhaltet sowohl die Gegneranalyse (Vorbereitung auf Wettkämpfe, Gegnerprofile (Stärken, Schwächen), mögliche Taktiken, etc.), als auch die technische und taktische Analyse der eigenen Spieler inkl. der Implementierung und Umsetzung ins Training.
Das passiert immer im Austausch mit den betreuenden Trainern, aber natürlich bin ich auch selber direkt mit Spielern z.B. bei Lehrgängen am Tisch. Da ist die Kombination aus Trainer und Wissenschaftler dann ganz hilfreich.
Im August stehen die Paralympics an. Wie genau sieht deine Arbeit im Hinblick auf dieses bedeutende Event aus? Interessant wäre auch zu erfahren, woher du das Material von Spielen der Gegner bekommst. Gibt es dort extra Datenbanken mit vielen Spielen, ähnlich wie im Fußball, oder musst du dir die Videos der Gegner über verschiedene Wege besorgen bzw. bei Turnieren selbst aufnehmen?
Die Vorbereitung im Bezug auf Analysen speziell für die Paralympics läuft im Prinzip jetzt seit Anfang 2020. Spätestens dann mit dem Stichtag für die Ranglistenplätze standen die Gegner bis auf die Plätze aus dem Qualifikationsturnier und den Wild Cards fest.
Seitdem habe ich angefangen, je nach Bedarf und Wunsch der Spieler, Gegner zu analysieren. Die Anzahl der Teilnehmer sind in der jeweiligen Wettkampfklasse teilweise sehr klein. Da war das Ziel, dass die Spieler zu jedem Gegner ein Spielerprofil bekommen, falls sie das wollen.
Bzgl. Material: Der Aufbau einer Spieldatenbank ist auch ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Bis auf ein paar (teilweise qualitativ schlechte) YouTube-Streams gibt es kein Material im Para-Bereich. Seitdem wir damals 2017 das erste Betreuungsprojekt gestartet haben, habe ich mehr als 1600 Einzel für die Datenbank aufgenommen. Ich war seitdem im Prinzip bei fast jedem Turnier, bei dem ein Deutscher am Start war.
Kommen wir mal auf deine Tätigkeit als Cheftrainer der 1. Damenmannschaft des SV DJK Kolbermoor zurück.
Machst du im Vorfeld der Bundesligaspiele auch ähnliche Analysen für deine Damen, wie du es ja auch beruflich für den DBS machst, oder fehlt dir dafür die Zeit?
Ich habe letzte Saison tatsächlich auch detaillierte Analysen gemacht, speziell als es in die Playoffs ging.
Die Spielanalysen auf diesem Niveau sind sehr individuell – das ist dann auch eine Kosten-Nutzen-Rechnung. In dem Fall gab es von Kristin [Lang], die sich äußerst professionell auf jedes Spiel vorbereitet, explizit den Wunsch. Da war es selbstverständlich, dass ich etwas für sie vorbereite und wir das dann zusammen besprechen.
Das hat anscheinend gut funktioniert, denn Kristin blieb in den Finalspielen ungeschlagen. Zur neuen Saison hat euch Fu Yu allerdings verlassen, doch auf der anderen Seite habt ihr mit Matilda Ekholm einen überraschenden Neuzugang dazubekommen.
Die 39-Jährige hat eigentlich im letzten Jahr ihre Karriere beendet, lebt nun in der USA und arbeitet dort an interessanten TT-Projekten.
Wie kam es zu dem Wechsel und für welche Spiele ist sie bei euch eingeplant?
Fu hat uns leider verlassen. Wir hätten sie gerne gehalten. Das Engagement von Matilda Ekholm hat sich relativ kurzfristig ergeben, nachdem klar war, dass Fu den Verein verlassen wird. Wir wollten unbedingt eine Spielerin, die wie Susi oder Fu die Rolle als „besonderen“ Joker einnimmt. Auf diesem Niveau gibt es nicht viele (europäische) Spielerinnen.
Der Kontakt ist dann über Kriszti Toth zustande gekommen. Ich habe Kriszti, die kurz zuvor ein Webinar zusammen mit Matilda für die ITTF gegeben hatte, gebeten, Matilda zu kontaktieren und unser Interesse zu bekunden. Matilda war offen für unsere Anfrage und war auch in den Gesprächen mit mir supernett. Wir sind uns dann auch schnell einig geworden.
Wieviel und wann sie spielen wird, muss man auch unter Berücksichtigung der Corona-bedingten Reiseeinschränkungen abwarten. Das ist aktuell einfach auch nicht planbar.
Stimmt. Doch trainiert sie in USA noch professionell, so dass sie in ihren Einsätzen eine echte Verstärkung für euch sein wird?
Sie ist auf jeden Fall noch aktiv, hat auch bei einem USATT T2 Turniere gespielt.
Ich denke, sie ist auf jeden Fall eine Verstärkung!
Ihr habt in eurer 2. Damenmannschaft, die in der 2. Bundesliga spielen wird, mit Naomi Pranjkovic, Laura Tiefenbrunner und Laura Kaim drei hoffnungsvolle Nachwuchsspielerinnen gemeldet.
In dieser Saison war Tiefenbrunner fester Bestandteil der 1. Mannschaft. Wird in der kommenden Saison auch die aufstrebende Pranjkovic mehr Einsätze bekommen?
Tatsächlich werden beide, wenn es von der Planung her klappen wird, etwa gleich viele Einsätze in der 1. Damenmannschaft bekommen.
Du bist – wie wir im Interview bisher gehört haben – in der TT-Szene sehr gut vernetzt und bekleidest bereits wichtige Posten. Hast du noch Ziele für die Zukunft? Wo möchtest du mal landen? Anders gefragt, wo siehst du dich in 10 Jahren?
Schwer zu sagen. Ich bin aktuell sehr zufrieden und mir macht das gerade im Para-Bereich viel Spaß.
In meinem (sehr speziellen) Bereich der Spielanalyse gibt es im Tischtennis wenig hauptberufliche Möglichkeiten (zumindest außerhalb von Asien). Ich sehe mich auf jeden Fall irgendwo noch in der Forschung aktiv und hoffentlich auch in der Praxis – wo genau, ist schwer zu sagen.
Systematische Spielanalyse hat im Tischtennis noch viel Potential nach oben und ist bei vielen Nationen noch nicht wirklich als fester Bestandteil im System und in der Ausbildung integriert, aber langsam werden immer mehr Stellen auch bei anderen Verbänden ausgeschrieben, weil die Bedeutung und auch der Nutzen immer mehr erkannt wird.
Teilweise wird es so realisiert, wie es bei mir zuvor war – über Kooperationen zu Universitäten oder Sportwissenschaftsinstitute. Eine feste Stelle direkt beim Verband ist bisher die große Ausnahme denke ich.
Vielen Dank für das interessante Interview Michael. Viel Erfolg bei all deinen Projekten bei den Paralympics und der anstehenden Saison!
Interview & Bilder: Johannes Gohlke