Houston. Losglück und Lospech sind Kategorien, die Sportler und ihre Trainer vor Beginn eines Turniers ungern benutzen. Beliebter sind Adjektive, die Möglichkeiten in beide Richtungen eröffnen. Für die am Dienstag beginnenden Individual-Weltmeisterschaften in Houston (23. bis 29. November) waren „herausfordernd“ und „anspruchsvoll“ die meistgehörten Beschreibungen für das Ergebnis der Auslosungen in den Konkurrenzen Einzel und Doppel, das den Deutschen frühzeitig hohe Hürden auch aus dem Reich der Mitte bescherte. Die ebenfalls für den Vormittag vorgesehene Ziehung für das Mixed wurde kurfristig aus nicht genannten Gründen auf den Abend verschoben.
Auf Timo Boll warten in der zweiten Runde zweimal chinesische Hürden
Beispiel Timo Boll: Der an Position acht gesetzte WM-Dritte von 2011, der am Morgen seine zweite Trainingseinheit bestritt, trifft nach einem Freilos zum Auftakt direkt in der Runde der besten 64 auf den Chinesen Zhou Qihao. Kaum besser ergeht es ihm im Doppel mit seinem Partner Patrick Franziska. Die mangels internationaler Auftritte ungesetzten Deutschen erreichen das Achtelfinale nur, wenn sie in der zweiten Runde das Chinas Spitzenduo mit dem Weltranglisten-Ersten Fan Zhendong und Doppel-Weltmeister Wang Chuqin aus dem Weg räumen. Aber auch das Reich der Mitte blieb von ungewohnten Auslosungsresultaten nicht verschont. Im Herren-Einzel stehen die vier Top-Chinesen Fan Zhendong (Nummer 1 der Setzungsliste), Lin Gaoyuan (5), Liang Jingkun (7) und Wang Chuqin (12) allesamt in einer Turnierhälfte, bis auf Liang sogar alle im gleichen Viertel. Der Konkurrenz öffnet dies die Tür, um wie in Budapest, als der Schwede Mattias Falck überraschend WM-Zweiter wurde, einen nichtchinesischen Finalisten im Finale zu stelle. Einzig Bolls Gegner Zhou Qihao kann dies noch verhindern.
Richard Prause: „Mit einer schweren Auslosung ist man von Anfang an hellwach“
Hintergrund für die nicht immer korrekt die Kräfteverhältnisse im Welttischtennis wiedergebende Einstufungen ist die aufgrund der Pandemie nicht sonderlich aussagekräftige Weltrangliste, die – zusammen mit aktuellen Ergebnissen im Doppel – die Grundlage für die Setzungen bildet. Viele Nationen besuchten die wenigen Turniere nur vereinzelt oder gar nicht, Verschiebungen in der Weltrangliste waren eine Folge, die Konsequenzen sind in der der Auslosung unübersehbar.
DTTB-Sportdirektor Richard Prause erklärt: „Die Weltrangliste ist durch Corona ein stückweit durcheinander gerüttelt. Spieler, die viele Turniere bereist haben, sind etwas höher gesetzt. Andere Spieler, die man normalerweise weiter vorne in der Setzung erwartet, liegen mangels Turnierteilnahmen dahinter. Im Doppel hat man die aktuellen Ergebnisse als Grundlage genommen. Das ist ja auch okay, hat aber teilweise zu einigen überraschenden Einstufungen geführt. Das führt im Einzel und im Doppel dazu, dass es einige Male zu frühen Begegnungen stärkerer Athleten kommt beziehungsweise kommen kann, als dies sonst bei einer WM der Fall gewesen wäre. Wir stehen dadurch sehr früh vor einigen sehr herausfordernden Aufgaben. Aber das trifft nicht nur uns, wie das Beispiel China im Herren-Einzel zeigt. In einer Nicht-Corona-Zeit mit deutlich mehr Wettkämpfen hätten die Weltrangliste und damit die Setzungen, die solche Konstellationen ermöglichen, wahrscheinlich anders ausgesehen.“
Die Athleten des DTTB stehen nach der Auslosung vor hohen Hürden, das weiß auch Prause: „Zugespitzt könnte man für den DTTB von einigen Hammerlosen reden, aber wir denken nicht in diesen Dimensionen. Lamentieren würde uns zudem nicht helfen. Manchmal hat man eben eine etwas bessere Auslosung, das nächste eine etwas schlechtere – am Ende gleicht sich das alles immer aus.“ Prause hofft: „Wenn man eine schwere Auslosung hat, dann ist man von Anfang an hellwach. Das trägt vielleicht sogar mit dazu bei, direkt von Anfang über die ohnehin immer notwendigen 100 Prozent hinauszuspielen. Unsere Spieler sind in jedem Fall in der Lage dazu.“
Herren-Einzel: Vier Deutsche müssen in Runde eins an den Tisch
Chinas vierfach-Konstellation in der ersten Turnierhälfte und Timo Bolls wahrscheinliches Zweitrunden-Duell mit dem 24 Jahre alten Zhou Qihao, der das Aufeinandertreffen mit dem Rekord-Europameister bei den German Open 2019 in Bremen mit 2:4 verlor, sind zwei der Auslosungs-Highlights im Herren-Einzel. Während Boll, für den es bei erfüllter Setzung im Viertelfinale ein Duell mit Japans Weltranglistenvierten Tomkazu Harimoto geben könnte, in dem 128er-Feld wie alle Top-Acht-Gesetzten ein Freilos zum Auftakt genießt, müssen seine vier Teamkollegen schon am Dienstag in Runde eins an den Tisch.
Auftaktgegner des an Position zehn gesetzten Europe-Top-16-Gewinners Patrick Franziska (Saarbrücken) ist der Slowake Lubomir Pistej. Im Falle des Achtelfinaleinzugs wäre der Olympiavierte Lin Yun-Ju (Taiwan) der wahrscheinlichste Gegner. Abwehrass Ruwen Filus (Fulda-Maberzell), der sich in der Runde der besten 32 dem an Zwei gesetzten Harimoto in den Weg stellen möchte, bekommt es zunächst mit dem Rumäne Hunor Szocs zu tun. Der Bergneustädter Benedikt Duda trifft zum Auftakt auf den Inder Harmeet Desai, bevor anschließend Portugals Europe-Top-16-Finalist Marcos Freitas wartet. Löst Timo Bolls Vereinskollege Dang Qiu seine Erstrunden-Aufgabe gegen den Japaner Yukiya Uda, so fordert der Düsseldorfer in Runde zwei Chinas Weltranglistenneunten Liang Jingkun heraus, der vor zwei Jahren in Budapest Bronze gewann.
Damen-Einzel: Zwei deutsch-chinesische Duelle in Runde drei möglich
Deutschlands Damen stehen ausnahmslos vor lösbaren Erstrundenaufgaben. Die Form von Europameisterin Petrissa Solja (Langstadt), auf die im Achtelfinale ein Duell mit Japans Mixed-Olympiasiegerin Mima Ito wartet, wird zunächst von der Serbin Izabela Lupulesku überprüft. Auf Abwehrass Han Ying wartet die Schweizerin Rachel Moret, die Berlinerin Shan Xiaona steht der Russin Olga Vorobeva gegenüber. Die beiden Deutschen stehen allerdings beim anvisierten Kampf um den Einzug in das Achtelfinale vor extrem hohen Hürden aus dem Reich der Mitte: Han trifft auf die Weltranglistenzweite Sun Yingsha, Shan auf die Nummer zwölf der Welt Chen Xingtong. Europe-Top-16-Siegerin Nina Mittelham beginnt gegen Lokalmatadorin Amy Wang, die auf die lautstarke Unterstützung der amerikanischen Fans zählen kann. In der Runde der besten 32 könnte es für die Berlinerin ein Duell mit der Weltranglistenfünften Chen I-Ching (Taiwan) geben. Die seit Wochen in glänzender Form spielende Sabine Winter (Schwabhausen) geht im ersten Einzel gegen die Waliserin Charlotte Carey als Favoritin an den Tisch, bevor sie die Hongkong-Chinesin Doo Hoi Kem zum Duell herausfordern kann.
Hohe Hürden für Boll/Franziska und Solja/Shan
Im Doppel-Wettbewerb genießen die an Position drei gesetzten EM-Zweiten Nina Mittelham/Sabine Winter sowie die an Nummer sechs eingestuften Europameisterinnen Petrissa Solja/Shan Xiaona ebenso wie bei den Herren die vierfachen Deutschen Meister Benedikt Duda/Dang Qiu zunächst ein Freilos. In Runde eins müssen nur die China-Open-Sieger von 2019, Timo Boll/Patrick Franziska, gegen die im Doppel unangenehme serbisch-slowakische Kombination Aleksandar Karakasevic/Lubomir Pistej an den Tisch. Schon im zweiten Durchgang entscheidet sich für die Deutschen, ob sie in Houston die Weichen Richtung Medaille stellen können. Dann spielen die diesmal ungesetzten Viertelfinalisten von 2019, die in Budapest nur von einer Erkrankung Timo Bolls gestoppt wurden, gegen den Weltranglistenersten Fan Zhendong und Doppel-Weltmeister Wang Chuqin um den Einzug in das Achtelfinale. Während Mittelham/Winter und Duda/Qiu in guter Form mit ihren Auslosungen durchaus den Weg zu anvisierten Matches um die Medaillen beschreiten können, erwischten Solja/Shan bereits für das Achtelfinale mit den Titelverteidigerinnen Sun Yingsha/Wang Manyu die höchstmögliche Hürde.
Die Spiele der Deutschen am Dienstag, 23. November
(Ansetzungszeiten stehen noch nicht fest)
Herren-Einzel, 1. Runde
Patrick Franziska – Lubomir Pistej SVK
Ruwen Filus – Hunor Szocs ROU
Benedikt Duda – Harmeet Desai IND
Dang Qiu – Yukiya Uda JPN
Damen-Einzel, 1. Runde
Nina Mittelham – Amy Wang USA
Shan Xiaona – Olga Vorobeva RUS
Petrissa Solja – Izabela Lupulesku SRB
Sabine Winter – Charlotte Carey WAL
Han Ying – Rachel Moret SUI
Die Spiele der Deutschen am Mittwoch, 24. November
Herren-Einzel, 2. Runde (beste 64)
Timo Boll – Sieger Zhou Qihao CHN / Niagol Stoyanov ITA
Herren-Doppel, 1. Runde
Patrick Franziska/Timo Boll – Aleksandar Karakasevic/Lubomir Pistej SRB/SVK
Benedikt Duda/Dang Qiu – Freilos
Damen-Doppel, 1. Runde
Nina Mittelham/Sabine Winter – Freilos
Petrissa Solja/Shan Xiaona – Freilos
Text: DTTB
Bild: Johannes Gohlke