Vor dem Turnier stellte sich für viele nur die Frage: Weltmeister Fan Zhendong oder Olympiasieger Ma Long? Am Ende erreichten beide nicht einmal das Finale und Wang Chuqin setzte sich die Krone auf. Keine Sensation, aber sicherlich eine Überraschung, auch wenn der 21-jährige Nachwuchsstar sicherlich hinter den beiden großen Dominatoren der kommende Mann in Chinas Topteam ist.
Eine Sensation war aber definitiv, dass weder Fan Zhendong, noch Ma Long, das Viertelfinale überstanden. Während sich Ma Long nach seinem 3:0 Sieg im Achtelfinale gegen Liang Jingkun anschließend in der Runde der letzten 8 dem späteren Sieger Wang Chuqin mit 1:3 geschlagen geben musste, kam für Fan Zhendong nach seinem Pflichtsieg in Runde 1 gegen Lokalmatador Cheong Chi Cheng überraschend das Aus gegen den noch relativ unbekannten Xu Yingbin.
Im Halbfinale musste Xu Yingbin dann aber die Überlegenheit von Lin Gaoyuan anerkennen, gegen den er nur im ersten Satz die Chance auf einen Satzgewinn hatte. Im anderen Halbfinale bestätigte Wang Chuqin seine Topform mit einem klaren 4:1 Sieg gegen Xu Xin.
Wang Chuqin wackelte im gesamten Turnierverlauf erstmalig im Finale, als er nach 2:1 Führung mit 2:3 in Rückstand geriet und im sechsten Satz sogar eine Matchballchance von Lin Gaoyuan abwehren musste und diesen Satz mit 14:12 gewinnen konnte und im ebenfalls knappen Entscheidungssatz mit 11:9 Spiel und Turnier gewinnen konnte.
Mit Siegen über Xue Fei, Ma Long, Xu Xin und Lin Gaoyuan war der Sieg von Wang Chuqin absolut verdient. Für Lin Gaoyuan war der Finaleinzug ebenfalls ein toller Erfolg, jedoch hatte er mit Lam Siu Hang, Lin Shidong – gegen den er im Viertelfinale kurz vor dem Aus stand und lediglich im Entscheidungssatz mit 13:11 gewinnen konnte – und Xu Yingbin, die eindeutig leichteren Gegner. Er konnte insbesondere den Topchinesen Ma Long, Fan Zhendong, Xu Xin und Liang Jingkun aus dem Weg gehen, jedoch zeigt seine Leistung im Endspiel, dass er auf diesem Level durchaus auf Augenhöhe mitspielen kann, wenn ihm seine Nerven keinen Streich spielen, wie schon öfters vorgekommen.
ZEITENWENDE IN CHINA ODER JAMMERN AUF HOHEM NIVEAU BEI DEN HERREN?
Bei den Herren zeigte sich, dass sich hinter Fan Zhendong mit Wang Chuqin einer der jungen Spieler auf höchstem Niveau stabilisiert und dieser sicherlich bei gleichbleibender Entwicklung zukünftig zum festen Kern des chinesischen Topteams gehören wird.
Nachdem man Xu Xin zukünftig nicht mehr auf internationaler Topebene sehen wird und auch Ma Long im Spätherbst seiner Karriere ist, muss man allerdings feststellen, dass die Spieler der zweiten und dritten Reihe und die nachrückenden Talente noch nicht gut und konstant genug spielen, um die höchsten chinesischen Ansprüchen zu erfüllen.
Natürlich sind Lin Gaoyuan und Liang Jingkun internationale Spitzenklasse und auch Spieler wie Xu Yingbin, Xiang Peng, Lin Shidong, Sun Wen, Yuan Licen, Xue Fei und Zhao Zihao sind an guten Tagen bereits in der Lage, alle Spieler der Weltspitze zu schlagen, aber die Konstanz ein ähnlich „unschlagbares“ Trio zu bilden wie es in den letzten rund zwanzig Jahren aus dem Spielerpool Ma Long, Fan Zhendong, Xu Xin, Zhang Jike, Wang Hao, Ma Lin und Wang Liqin möglich war.
Ausnahmespieler wie diese gibt es selbst in China nicht mehr so häufig wie früher. Man kann darüber spekulieren, ob das bereits erste Auswirkungen sind, dass die Sportart Tischtennis nicht mehr diese Ausnahmestellung hatte, wie früher, und andere Sportarten wie Basketball oder Fußball mehr und mehr in den Fokus der Öffentlichkeit und auch der Förderung rücken und als eine der Folgen beispielsweise auch die chinesische Superliga an Stellenwert verloren hat.
Der Sportart Tischtennis tut dies vielleicht gut, vielleicht mehr als künstlich beeinflusste Weltranglisten um für mehr Abwechslung zu sorgen, jedoch muss man auch sehen, dass man bei der nach wie vor anhaltenden Dominanz Chinas da immer noch von einem Luxusproblem oder Jammern auf hohem Niveau sprechen kann und die sich andeutende leichte Schwächeperiode einerseits immer noch ausreichend ist, um alle Titel bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen holen zu können und andererseits man hier auch nur von einer aufkommenden leichten Schwäche im Herrenbereich sprechen kann.
CHINESISCHE DOMINANZ BEI DEN DAMEN TROTZ JAPANISCHEM GROSSANGRIFF
Bei den Damen sieht das immer noch anders aus und trotz des, mit Hinblick auf die Olympischen Spiele in Tokio, lange geplanten japanischen Großangriffs, hat China eine unglaubliche Anzahl von Spielerinnen, die zur absoluten Weltspitze gehören, von denen jede einzelne Medaillenkandidatin bei den globalen Topevents wäre. In China gibt es momentan wahrscheinlich zwanzig Spielerinnen, von denen jede einzelne in den TOP10 der Weltrangliste stehen könnte, wenn sie denn oft genug spielen dürfte(n). Aber vor allem die derzeit besten Chinesinnen zeigen eine unglaubliche Dominanz und spielen in ihrer eigenen Liga.
Im Gegensatz zu den Herren, bei denen wie oben erwähnt der aktuelle Weltmeister und der amtierende Olympiasieger dieses Mal nicht das Halbfinale in Macao erreichen konnten, kam es bei den Damen in einem Halbfinale sogar zum direkten Aufeinandertreffen dieser globalen Toptitelträgerinnen. In einem packenden Spiel kämpfte sich Olympiasiegerin Chen Meng nach einem 1:3 Rückstand zurück ins Spiel, konnte den Satzausgleich erreichen und damit den Entscheidungssatz erzwingen, in welchem sie mit 9:11 gegen Weltmeisterin Wang Manyu verlor.
Wang Manyu ist sicherlich die dominanteste Spielerin der letzten Monate und konnte sich auch im Finale gegen eine starke Liu Shiwen durchsetzen, die sich auf höchstem Einzelniveau zurück melden konnte, was sie unter anderem durch ihren 4:2 Sieg im Halbfinale gegen Sun Yingsha bestätigte. Im Finale musste sie dann aber die Überlegenheit von Wang Manyu anerkennen.
MIXED-WELTMEISTER VON 2019 AUCH 2022 KAUM ZU SCHLAGEN
Trösten durfte sich Liu Shiwen aber mit dem Titelgewinn im gemischten Doppel. Mit ihrem Partner Xu Xin bildete sie ein bärenstarkes Mixed, das hier im gesamten Turnierverlauf ungefährdet blieb, auch im Finale gegen Fan Zhendong und Kuai Man, denen nicht einmal ein Satzgewinn vergönnt war. Überhaupt haben Liu Shiwen und Xu Xin „gefühlt“ erst ein einziges Mixed in ihrer Karriere verloren – dass dies ausgerechnet das Olympiafinale gegen Mima Ito und Jun Mizutani in Tokio war, bot natürlich eine ganz besondere Tragik.
Auch wenn das WTT Event in Macao „Exhibition-Status“ hatte und damit keine Weltranglistenpunkte vergeben wurden, war an diesen fünf Tagen vom 19. bis 23. Januar 2022 im Tap Seac Multisport Pavilion herausragender Spitzensport geboten, Tischtennis auf absolutem Weltklasseniveau und man muss neidlos attestieren, dass das Niveau stärker war als bei einer WM oder Olympischen Spielen. Unterm Strich spielen die Chinesen dann doch einfach in einer eigenen Liga.
Fotos: courtesy by ITTF/WTT