Nachdem wir zuletzt mit Vivian Scholz eine Bundesligaspielerin ausgiebig interviewt haben, die noch auf dem Weg nach oben ist, ist unsere Wahl diesmal auf eine der erfahrensten Spielerinnen im Oberhaus überhaupt gefallen. Ex-Nationalspielerin Jessica Göbel, inzwischen 39 Jahre alt, war als Gesprächspartnerin für uns auch deshalb besonders interessant, weil ihr Klub, der ttc berlin eastside, im Dezember die Champions League gewonnen hat und als Titelverteidiger in das Pokal Final Four am Sonntag geht. Doch Jessica Göbel hatte uns noch wesentlich mehr zu sagen und hat keineswegs nur über den Cupwettbewerb und die jüngsten Erfolge ihres Teams berichtet.
Frau Göbel, Sie sind ja eine der erfahrensten Spielerinnen der Bundesliga überhaupt. Wie viele Pokal-Endrunden haben Sie im Lauf Ihrer Karriere schon bestritten, wie oft haben Sie Titel errungen, etwa als Pokalsieger oder Meister?
„Ehrlich gesagt, habe ich die Endrunden beziehungsweise die Finals nicht gezählt. Seit Wiederaufnahme der Pokalmeisterschaften war ich bis auf wenige Ausnahmen immer beim Final Four dabei, habe aber diesen Titel noch nicht gewinnen können. Deutscher Mannschaftsmeister bin ich im Jahr 2000 mit Müllermilch Langweid geworden und Vizemeister mit dem FSV Kroppach und dem TV Busenbach.“
Aber gehen wir erst einmal zu den Anfängen zurück: Wie und in welchem Alter sind Sie zum Tischtennissport gekommen? Wann fiel die Entscheidung, Profi zu werden?
„Mit 10 Jahren wurde ich von meinem später langjährigen Trainer Michel Dekein entdeckt und gefördert. Er selbst hatte zwei Töchter, die bereits damals in der Tischtennis-Bundesliga gespielt hatten, so dass ich mit Ihm jemanden hatte, der genau wusste, worauf es ankam. Mit dem Titel der deutschen Jugendmeisterin 1999 war klar, dass ich im Anschluss an meine Jugendzeit auf eine Profilaufbahn im Tischtennis setzen würde.“
Was waren die schönsten Erfolge Ihrer bisherigen Karriere als Einzelspielerin sowie in Mannschaftswettkämpfen?
„Die Medaillengewinne bei den deutschen Meisterschaften [insgesamt 10] sind natürlich immer gerne in Erinnerung, aber Siege gegen Mihaela Steff bei den Croatian Open oder Csilla Batorfi sind ebenfalls immer als positives Ereignis in meinen Erinnerungen geblieben. Speziell Csilla war ja in den früheren Jahren wie Nicole Struse ein Aushängeschild in Sachen Tischtennis. Mannschaftstechnisch war der Champions-League-Gewinn mit dem ttc berlin eastside vor wenigen Wochen sicherlich noch schöner als 2002 die Silbermedaille mit dem Nationalteam im EM-Finale gegen Rumänien.“
Gab es auch traurige Momente mit Niederlagen und Enttäuschungen in ganz wichtigen Spielen, gab es Tage, an denen Sie gedacht haben: „Wäre ich heute doch lieber im Bett geblieben“?
„Natürlich gab es und gibt es Momente im Sport, die man lieber nicht erlebt hätte beziehungsweise erleben würde. Der Vorteil zu früher ist aber, dass ich heute schon vor dem Spiel merke, ob es ein solcher Tag ist. Das ist auch eine gewisse Erfahrung [augenzwinkernd].“
Sie haben im Dezember mit eastside die Champions League gewonnen – und es ging im Finale bis zum letzten Ball sehr spannend zu. Hat es Sie da in den Fingern gejuckt, selbst in die Box zu steigen, oder waren Sie sicher, dass es Ihre Teamkolleginnen schon schaffen würden?
„Natürlich ist es immer das Ziel eines Sportlers, in solchen Spielen zu spielen, aber noch wichtiger ist es zu erkennen, dass in diesem Moment unser europäisches Spitzentrio gefragt ist. Ich bin nicht von Berlin verpflichtet worden um im Champions-League-Finale zu punkten, da muss man sich auch mal ans interne Drehbuch halten [augenzwinkernd].
Das Finale war vom ersten bis zum letzten Punkt einfach nur dramatisch und eine Achterbahn der Gefühle. Nach der Niederlage von Shan gegen Liu Jia (zum Spielausgleich von 2:2) mussten wir uns erst einmal kräftig schütteln, denn das war eigentlich das Schlüsselspiel, was wir gewinnen wollten. Nina [Mittelham] hat diese knifflige Situation ziemlich schnell verdaut und konnte sich von Ballwechsel zu Ballwechsel immer weiter steigern. Am Ende hatte Sie die besseren Nerven und Ideen, danach war die Erleichterung und Freude natürlich riesengroß.“
Was kann eine so erfahrene Spielerin wie Sie Ihren Kolleginnen von der Bank aus mitgeben? Die eastside-Spielerinnen und Trainerin Irina Palina haben ja erklärt, wie wichtig Sie „am Rande der Bande“ für das Team in Linz gewesen seien.
„Als nominelle Nummer vier bei einem solchen Turnier ist es wichtig, dass die eigenen Ansprüche hinten angestellt werden und man im Dienste der Mannschaft agiert. Für mich ist das selbstverständlich, da ich mir bewusst darüber bin, dass unsere ersten drei stärker sind und ich aus dem Alter raus bin, etwas beweisen zu müssen. Dass ich auf der Bank dann noch für etwas Stimmung sorge, ist in den entscheidenden Phasen sicherlich auch nicht von Nachteil.“
Sie sind jetzt 39. Merken Sie einen gewissen Rückgang, etwa was die Schnelligkeit betrifft? Sie haben ja ein sehr bewegungsintensives Offensivspiel. Oder können Sie gegebenenfalls einen Rückgang mit gutem Auge und Routine kompensieren?
„Im Fußball kann man schon mal durch ein gutes Stellungspiel auf der Liberoposition glänzen, aber im Tischtennis funktioniert das eher weniger. Momentan ist es noch schwieriger, da ich durch die Pandemie nicht trainieren kann. Unter normalen Umständen komme ich mit zwei bis drei qualitativ guten Trainings in der Woche gut über die Runden, aber natürlich merkt man, dass das nicht mehr alles so flüssig ist wie noch vor 15 Jahren.“
Haben Sie sich ein Limit gesetzt, wie lange Sie in der 1. Bundesliga spielen möchten?
„Ich habe immer gesagt, dass mit 40 Schluss sein soll, aber was schert mich mein Geschwätz von gestern. Eine weitere Saison wird es sicher noch werden.“
Sie spielen ja nicht nur Tischtennis, sondern haben sich ein weiteres berufliches Standbein verschafft. Was machen Sie genau und wie sind Sie dazu gekommen?
„Nach meiner Ausmusterung aus der Nationalmannschaft beziehungsweise der Sportförderung habe ich mir Gedanken gemacht, wo ich meine Zukunft sehe. Mir war klar, dass ich als erstes mein Abitur nachholen musste, um in meinen Entscheidungen bezüglich Ausbildung und Studium freier zu sein. Nachdem ich das Abitur in der Tasche hatte und ich meinen Traum, Polizistin zu werden, aufgrund eines schweren Bandscheibenvorfalls begraben konnte, gelang mir ein Glücksgriff. Ich bewarb mich bei Kieser Training in Siegen und aufgrund meines sehr sportinteressierten Chefs und Förderers bekam ich die Chance, mein Leben parallel zum Sport neu zu organisieren. 2011 begann ich bei Kieser Training in Siegen mein duales Studium zur Fitnessökonomin, welches ich 2015 abschloss. Seit 2016 bin ich als Geschäftsleiterin für ein junges zehnköpfiges Team mit 1.500 Kunden verantwortlich.“
Hat Sie der Rückzug des TV Busenbach, bei dem Sie viele Jahre im Spitzenpaarkreuz sowie als Kapitänin aktiv waren, sehr getroffen? Und haben Sie sich umso mehr gefreut, dass mit dem europäischen Topklub ttc berlin eastside dann der amtierende Meister und Pokalsieger bei Ihnen angeklopft hat?
„Ich war in Busenbach elf Jahre zu Hause. Ich habe gemeinsam mit Tanja Krämer dort sehr viele schöne und intensive Jahre verbracht. Ich habe in dem Verein Freunde fürs Leben gefunden, zu denen der Kontakt mit Sicherheit nicht abreißen wird. Dass es am Ende dann ohne Abschiedsspiel nach dieser langen Zeit zu Ende war, ist sicherlich tragisch, aber mit Blick auf die Pandemie am Ende die richtige Entscheidung gewesen.
Als ich dann gerade über ein ruhigeres Leben nachdachte, klingelte mein Telefon. Hätte man mir vor ein paar Jahren gesagt, dass ich am Ende meine „Karriere“ oder besser gesagt sportlichen Laufbahn nochmals in Berlin landen würde, hätte ich wahrscheinlich demjenigen jegliche „Fachkompetenz“ abgesprochen [augenzwinkernd]. Nein, als Andreas Hain mich ein paar Tage vor den Deutschen Meisterschaften anrief und mich in seinen Plan einweihte, war ich zugegebener Weise schon etwas überrascht. Tatsächlich ist es so, dass man einem Angebot eines Doublesiegers nur schwer widerstehen kann.“
Jetzt aber doch nochmals zum Final Four am Sonntag in Berlin: Wenn man das alles schon oft erlebt hat, ist man dann vor einem solchen Turnier noch aufgeregt, ist noch eine Anspannung da oder ist es fast „business as usual“? Freuen Sie sich auf das Turnier?
„Grundsätzlich freut man sich immer auf Heimspiele und wenn dann noch das Final Four in heimischen Gefilden stattfindet, umso mehr. Und eine gewisse Anspannung ist immer vor wichtigen Spielen da – und das ist auch gut so. Ich persönlich mag es, einen gewissen Druck zu spüren, denn dann bin ich einfach einen Ticken stärker.“
Glauben Sie daran, dass Ihre Mannschaft nach der europäischen Königsklasse nun bereits den zweiten Titel dieser Saison einfahren wird?
„Nach dem Champions-League-Erfolg wollen wir natürlich auch den kleineren Pokal gewinnen, aber ein Selbstläufer wird das sicher nicht werden.“
Ist Kolbermoor am Sonntag der Hauptkonkurrent des ttc eastside oder muss man auch vor den anderen beiden Teams, also Schwabhausen und Weil, auf der Hut sein?
„Ich mag es nicht, von Hauptkonkurrenten zu sprechen, denn dafür gab es in dieser Saison einfach schon zu viele Überraschungen. Wir müssen auf uns schauen und zunächst das Halbfinale gegen Weil meistern. Am Ende werden es sicherlich wieder spannende Spiele werden, wo die Tagesform nach der Weihnachtspause mitentscheidend sein wird.“
Sind Sie überzeugt davon, dass der Hauptstadtklub diese Saison das Triple schafft?
„Wir werden zumindest alles dafür geben, um am Ende als Triple-Sieger dazustehen. Jetzt gilt es erstmal, das Final Four in Berlin zu gewinnen und dann schauen wir weiter.“
Sind für Sie die Fans im Rücken sehr wichtig, zumal Sie ja auch am Tisch sehr emotional agieren? Ist es daher für Sie in dieser Saison schwieriger, Bestleistungen abzurufen, oder ist das davon nicht abhängig?
„Zuschauer sind in jeder Sportart das Salz in der Suppe, ohne sie wird ziemlich schnell ein Event zum Totentanz. Durch die Zuschauer wird man natürlich nochmal gepuscht, vor allem in Heimspielen können Sie ein entscheidender Faktor zum Sieg werden. Die Bedingungen, die derzeit in der Bundesliga herrschen, sind sehr schwierig, abgesehen von den fehlenden Zuschauern spielen wir in Sporthallen, die aufgrund des Corona-Lüftens im Winter zum Iglu werden, und da wird es dann immer schwieriger, Bestleistungen zu zeigen. Wichtig ist aber, dass gespielt wird und wir unseren Sport am Leben halten.“
Haben Sie ein Lebensmotto, das vielleicht auch für den Tischtennissport gilt?
„Du hast erst dann verloren, wenn du aufhörst, es zu versuchen.“
Interview & Emotionsfoto Göbel: Dr. Stephan Roscher
Übrige Bilder: Rainer Oppenheimer (Titelfoto), ttc berlin eastside