Die 2. European Games werfen ihren Schatten voraus. Bereits am kommenden Samstag beginnen in Weißrusslands Hauptstadt Minsk die Spiele. In manchen der 15 vertretenen Sportarten geht es um richtig viel: Dort werden nämlich erste Olympiatickets für Tokio 2020 vergeben – so auch im Tischtennis.
Insgesamt über 4.000 Athleten aus 50 Nationen werden in Minsk um die Titel kämpfen – alles in allem stehen 200 Medaillenentscheidungen an. Im Tischtennis dagegen werden nur fünf Disziplinen ausgespielt, folglich ist 15 Mal Edelmetall zu vergeben.
Komplizierte Regularien
Der Modus mutet ein wenig kompliziert an, deswegen sei er hier kurz erläutert. In Minsk können die Sieger der Konkurrenzen Herren-Mannschaft, Damen-Mannschaft, Herren-Einzel, Damen-Einzel und Gemischtes Doppel bereits 13 Monate vor dem Startschuss zu den Olympischen Spielen die ersten Tickets für Tokio lösen und sich so den langen Weg über die kontinentalen Qualifikationsturniere im Winter 2019 und Frühjahr 2020 ersparen. In den Einzelturnieren mit jeweils 50 Startern qualifizieren sich zusätzlich auch die Zweit- und Drittplatzierten für Olympia. Die Gewinner der Teamwettbewerbe, die in den letzten drei Tagen der European Games ausgetragen werden, können zudem zwei Spieler für die Einzelwettbewerbe von Tokio benennen – ein immenser zusätzlicher Anreiz.
Generell gleichen Austragungsmodus und Regularien in vielerlei Hinsicht jenen bei Olympia. So spielen in sämtlichen Wettbewerben die Verlierer der Halbfinals um Bronze, pro Nation dürfen nur zwei Männer und Frauen im Einzel antreten, ebenso darf nur ein Mixed gestellt werden. In der Mannschaft kommt das olympische Spielsystem mit maximal vier Einzeln und einem Doppel zum Tragen. Kein Akteur darf dabei innerhalb eines Wettkampfes mehr als zwei Matches absolvieren, wer im Doppel eingesetzt wird, kann also nur noch ein Einzel spielen.
DTTB will Ausbeute von Baku steigern
Vor vier Jahren in Baku bei der Erstauflage der Europaspiele sicherte sich Deutschland zwei von vier Goldmedaillen und siegte im Herren-Einzel durch Dimitrij Ovtcharov sowie mit der Damen-Mannschaft in der Aufstellung Han Ying, Petrissa Solja, Shan Xiaona.
Auch diesmal will der DTTB hoch hinaus und strebt die Titel in sämtlichen Wettbewerben an – und das sind keine Hirngespinste. Ob jedoch die maximale Ausbeute tatsächlich gelingen kann, wird von vielen Faktoren abhängen. Mit fünf Goldmedaillen zu kalkulieren wäre vermessen. Jedenfalls schickt Deutschland eine Reihe von Hochkarätern ins Rennen, auch wenn Bundestrainer Jörg Roßkopf und manche Aktiven nicht glücklich darüber sind, dass der ohnehin dicht gedrängte Terminkalender durch die European Games noch enger wird. An eine Sommerpause ist inzwischen gar nicht mehr zu denken, zumal auch im Juli mit den Korea Open und den Australian Open wieder zwei hochkarätige World-Tour-Events anstehen.
Der Deutsche Tischtennis-Bund hat jedenfalls in allen fünf Konkurrenzen heiße Eisen im Feuer. Im Herren-Einzel gehören der topgesetzte Timo Boll und der an drei gesetzte Titelverteidiger Dimitrij Ovtcharov zu den Topfavoriten. Bei den Damen finden wir Europe-Top-16-Siegerin Petrissa Solja an Position vier der Setzliste, und auch die lediglich an 13 notierte Han Ying dürfte beileibe nicht chancenlos sein, wenn es um die Vergabe des Edelmetalls geht. Im Mixed wollen die an drei gesetzten WM-Dritten Patrick Franziska/Petrissa Solja ihr Olympia-Ticket lösen.
Und die Nationalmannschaften sind beide topgesetzt – die Herren spielen mit Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov und Patrick Franziska, als Ersatzmann steht Ricardo Walther bereit. Die Damen-Truppe ist mit Petrissa Solja, Han Ying, Nina Mittelham und der Reservistin Shan Xiaona ebenfalls gut aufgestellt, allerdings dürfte besonders Rivale Rumänien mit der im Einzel topgesetzten Bernadette Szöcs und Elizabeta Samara brandgefährlich sein.
Prause und Schöpp optimistisch, Boll hofft fit zu bleiben
DTTB-Sportdirektor Richard Prause will deutsche Siege in den Einzel- und Teamwettbewerben sehen: „Es ist unser erklärtes Ziel, in Minsk unsere Olympia-Tickets zu lösen. Das würde uns viele Termine ersparen und früh Planungssicherheit bringen.“ Prause ist aber auch Realist und weiß, dass man nicht, wie die Chinesen auf der World Tour, mal eben zu den Spielen fährt und einfach so alles abräumt: „Das wird kein Selbstläufer, denn die Konkurrenz ist auch sehr spielstark. Bei den Herren stellt der WM-Dritte Schweden mit dem amtierenden Vizeweltmeister Mattias Falck einen sehr starken Konkurrenten, auch Österreich, Großbritannien und Frankreich mit einem starken Gauzy sind zu beachten. Bei den Damen können neben Europameister Rumänien auch Österreich, Ungarn und Polen bei der Titelvergabe ein Wort mitreden.“
Bundestrainerin Jie Schöpp hofft ebenfalls auf den direkten Weg nach Tokio: „Petrissa Solja, Han Ying und Nina Mittelham sowie Ersatzfrau Shan Xiaona sind fit und haben gut trainiert. Unser erstrangiges Ziel ist natürlich die Titelverteidigung mit der Mannschaft, die gleichbedeutend mit den olympischen Startplätzen für Team und Einzel wäre. Auch im Mixed und Einzelturnier gehen wir mit Chancen an den Start.“
„Es wäre schön, wenn wir die Chance ergreifen und uns direkt im ersten Anlauf qualifizieren könnten. Wir sind alle schon ein bisschen müde, die Saison war ziemlich lang. Aber fürs Olympia-Ticket lohnt es sich, sich zusammenzureißen. Das ist die große Motivation zur Teilnahme an den European Games“, so Timo Boll, der als Gesetzter der obersten Kategorie erst in der dritten Runde am Sonntag ins Geschehen eingreift. Der 38-Jährige hofft vor allem, dass seine Gesundheit mitspielt: „Meine Form war bei den letzten Turnieren in Asien solide. Für Minsk hoffe ich vor allem, dass ich gesund bleibe. Das ist bei meinem Immunsystem zurzeit nicht so selbstverständlich.“
Bundesliga-Asse in Minsk
Mit von der Partie sind auch drei Bundesliga-Profis des Deutschen Meisters und Pokalsiegers TTF Liebherr Ochsenhausen: Simon Gauzy, Jakub Dyjas und Stefan Fegerl. Gauzy, in den letzten Wochen und Monaten ganz eindeutig im Aufwind, startet als Nummer sechs der Setzliste im Herren-Einzel und als Spitzenspieler der an zwei gesetzten französischen Nationalmannschaft. Ihm werden durchaus Titelchancen in beiden Wettbewerben eingeräumt. Gerade die Équipe Tricolore mit ihm als „Leader“ könnte es schaffen, müsste dazu aber dem Topfavoriten Deutschland mit den Megaspielern Boll und Ovtcharov das Nachsehen geben. Man wird sehen.
Dyjas finden wir auf Position 24 der Setzliste im Herren-Einzel. Der 23-jährige Pole, aktuelle Nummer 59 der Weltrangliste, wird zudem im Mixed spielen. Fegerl schließlich erhielt zwar keinen Startplatz für das Herren-Einzel, ist dafür aber unverzichtbarer Spieler des österreichischen Nationalteams, das auf Setzposition vier zu finden ist und eine realistische Medaillenchancen besitzt. Zudem bildet er mit der besten Österreicherin, Sofia Polcanova, ein starkes, international erfolgreiches Mixed. Die beiden spielen auch in Minsk zusammen, sind an zwei gesetzt und möchten am Ende ganz oben auf dem Treppchen stehen. Dies wollen der Saarbrücker Patrick Franziska und die Langstädterin Petrissa Solja natürlich um jeden Preis verhindern.
Aus der Bundesliga sind neben den Genannten im Herren-Einzel in der Reihenfolge der Setzliste vertreten (Stand Saison 2019/20): Mattias Falck (Bremen), Daniel Habesohn (Mühlhausen), Kristian Karlsson (Düsseldorf), Tomislav Pucar (Fulda-Maberzell), Tiago Apolonia (Neu-Ulm), Darko Jorgic (Saarbrücken), Alvaro Robles (Bergneustadt), Ovidiu Ionescu, Lubomir Jancarik (beide Mühlhausen), Anders Lind, Mihai Bobocica (beide Grenzau) und Hunor Szöcs (Bremen). Aus der 1. Bundesliga Damen sind noch Matilda Ekholm, Georgina Pota, Fu Yu (alle berlin eastside), Britt Eerland, Sarah de Nutte (beide Bad Driburg), Mateja Jeger (Schwabhausen), Giorgia Piccolin (Bingen/Münster-Sarmsheim) und Lisa Lung (Busenbach) zu erwähnen.
European Games 2019, Tischtennis – Setzlisten
Herren-Einzel (erste 16)
1 Timo Boll (Deutschland), 2 Mattias Falck (Schweden), 3 Dimitrij Ovtcharov (Deutschland), 4 Liam Pitchford (England), 5 Vladimir Samsonov (Weißrussland), 6 Simon Gauzy (Frankreich), 7 Kristian Karlsson (Schweden), 8 Daniel Habesohn (Österreich), 9 Emmanuel Lebesson (Frankreich), 10 Jonathan Groth (Dänemark), 11 Marcos Freitas (Portugal), 12 Tomislav Pucar (Kroatien), 13 Tiago Apolonia (Portugal), 14 Cedric Nuytinck (Belgien), 15 Darko Jorgic (Slowenien), 16 Alvaro Robles Martinez (Spanien).
Damen-Einzel (erste 16)
1 Bernadette Szöcs (Rumänien), 2 Sofia Polcanova (Österreich), 3 Matilda Ekholm (Schweden), 4 Petrissa Solja (Deutschland), 5 Elizabeta Samara (Rumänien), 6 Georgina Pota (Ungarn), 7 Li Jie (Niederlande), 8 Fu Yu (Portugal), 9 Britt Eerland (Niederlande), 10 Margaryta Pesotska (Ukraine), 11 Barbora Balazova (Slowakei), 12 Polina Mikhailova (Russland), 13 Han Ying (Deutschland), 14 Li Qian (Polen), 15 Ni Xia Lian (Luxemburg), 16 Hana Matelova (Tschechien).
Mixed
1 Lubomir Pistej/Barbora Balazova (Slowakei), 2 Stefan Fegerl/Sofia Polcanova (Österreich), 3 Patrick Franziska/Petrissa Solja (Deutschland), 4 Tristan Flore/Laura Gasnier (Frankreich), 5 Adam Szudi/Szandra Pergel (Ungarn), 6 Ovidiu Ionescu/Bernadette Szocs (Rumänien), 7 Alvaro Robles Martinez/Galia Dvorak (Spanien), 8 Laurens Tromer/Britt Eerland (Niederlande), 9 Aleksandr Shibaev/Polina Mikhailova (Russland), 10 Mattias Falck/Matilda Ekholm (Schweden), 11 Aleksandar Karakasevic/Izabel Lupulesku (Serbien), 12 Niagol Stoyanov/Giorgia Piccolin (Italien), 13 Cedric Nuytinck/Lisa Lung (Belgien), 13 Jakub Dyjas/Natalia Partyka (Polen), 15 Luka Mladenovic/Ni Xialian (Luxemburg), 16 Pavel Platonov/Nadezhda Bogdanova (Weißrussland).
Damen-Mannschaft
1 Deutschland, 2 Rumänien, 3 Ungarn, 4 Österreich, 5 Holland, 6 Ukraine, 7 Polen, 8 Spanien, 8 Luxemburg, 8 Russland, 11 Schweden, 12 Weißrussland.
Herren-Mannschaft
1 Deutschland, 2 Schweden. 3 Österreich, 4 Großbritannien, 5 Frankreich, 6 Slowenien, 7 Kroatien, 8 Weißrussland, 9 Portugal, 10 Belgien, 11 Rumänien, 12 Dänemark.
European Games 2019, Tischtennis – Zeitplan
Freitag, 21. Juni: Auslosung
Samstag, 22.Juni: 1. und 2. Runde Einzel
Sonntag, 23.Juni: 1. Runde Mixed 3. Runde Einzel
Montag, 24.Juni: Viertelfinale Mixed 4. Runde Einzel
Dienstag, 25.Juni: Semifinale, Spiel um Bronze und Finale Mixed Viertelfinale Einzel
Mittwoch, 26.Juni: Semifinale, Spiel um Bronze und Finale Einzel
Donnerstag, 27.Juni: 1. Runde und Viertelfinale Team-Wettbewerbe
Freitag, 28.Juni: Semifinale Team-Wettbewerbe
Samstag, 29.Juni: Spiel um Bronze und Finale Team-Wettbewerbe
Text & Foto Ekholm: Dr. Stephan Roscher
Foto Boll: ITTF