Die TTF Liebherr Ochsenhausen krönten am Samstag in Frankfurt vor 3.000 Tischtennisfans ihre erfolgreichste Saison seit 15 Jahren mit dem Finalsieg gegen den 1. FC Saarbrücken TT, der etwas unter Wert geschlagen wurde. Es war ein Endspiel auf ganz hohem Niveau mit vielen atemberaubenden Ballwechseln.
Zuletzt hatte es 2004, noch unter dem 2013 verstorbenen Präsidenten Rainer Ihle, für die Oberschwaben das Double aus Meisterschaft und Pokal gegeben. Und seitdem wartete man vergeblich auf weitere Meisterehren, einige Finalteilnahmen endeten mit dem undankbaren zweiten Platz. Doch seit dem 25. Mai 2019, 17.59 Uhr, ist der Bann gebrochen. Durch das 3:0 gegen die fast auf Augenhöhe agierenden Saarländer – jedes Match stand auf des Messers Schneide – durften sich die Oberschwaben nach 180 packenden Minuten über den zehnten Titel der Vereinsgeschichte freuen und feierten eine ihrer erfolgreichsten Spielzeiten überhaupt. Vielleicht sogar die erfolgreichste, berücksichtigt man, dass zum ersten Mal Titel mit einem Trio von Eigengewächsen gelangen, die im Liebherr Masters College (LMC) ausgebildet und geformt worden waren: Hugo Calderano, Simon Gauzy und Jakub Dyjas.
TTF auf Kurs: Konzeptwechsel trägt Früchte
Vereinspräsident Kristijan Pejinovic war im Jahr 2004 noch Ihles Assistent. „Es lässt sich nicht wirklich vergleichen, unsere Erfolge der Saison 2018/19 fühlen sich anders an“, so Pejinovic. „Auch damals war die Freude riesengroß und es waren schöne Momente, doch inzwischen ist so viel geschehen. Wir haben vor sechs Jahren den Weg mit jungen Toptalenten eingeschlagen, um unsere Spieler selbst auszubilden, und sind inzwischen an dem Punkt angekommen, an dem unser Konzept reichlich Früchte trägt.“ Pejinovic bilanziert: „Als wir mit den damals noch ganz jungen Spielern im Bundesliga-Team begannen, haben wir davon gesprochen, dass vielleicht in fünf Jahren der erste Titel möglich werden könnte. Nun sind es sechs Jahre geworden, dafür haben wir aber gleich zwei Titel geholt.“
Titelsammler „Dima“ Mazunov
Fast scheint es so, als sei Dmitrij Mazunov für die TTF so etwas wie ein Titelgarant. Beim Double von 2004 stand er noch als Spieler am Tisch, an diesem Samstagnachmittag agierte er als Cheftrainer am Rande der Bande. Doch der 48-Jährige Tischtennislehrer bleibt bei aller Freude sympathisch bescheiden und weiß, dass auch sein Amtsvorgänger Dubravko Skoric durch jahrelange erfolgreiche Arbeit Anteil am Triumph des Ochsenhausener Quartetts hat. Skoric, der aktuell als Trainer am LMC tätig ist, war übrigens in Frankfurt dabei und feierte ausgelassen mit seinen früheren Schützlingen: „Ein toller Tag für den Verein und hochverdient!“
„Ein Geheimrezept, wie man zu Titeln kommt, habe ich nicht“, so Nachfolger Mazunov, der seine Debütsaison als Chef auf der Kommandobrücke mit der vollen Ausbeute abschloss. „Wenn es ein Erfolgsgeheimnis gibt, dann ist es die Tatsache, dass wir neben einer tollen Mannschaft ein hervorragendes Team hinter dem Team haben. Vom Präsidenten bis zur [augenzwinkernd] Putzfrau haben alle an einem Strang gezogen.“
Simon Gauzy glänzt gegen Patrick Franziska und sorgt für frühes „Break“
Das schließe natürlich auch Simon Gauzy ein, der nach einem schwierigen Jahr 2018 längst auf dem Weg zu alter Stärke sei und das gegen Patrick Franziska eindrucksvoll unter Beweis gestellt habe. „Spätestens seit Simon Vater geworden ist, läuft bei ihm auch sportlich alles wieder rund“, so Mazunov.
Sein Saarbrücker Kontrahent war vor dem Match mit einer sensationellen 27:4-Bilanz in der Bundesliga notiert und stand gegen den Franzosen, der in der Weltrangliste zehn Plätze hinter ihm geführt wird, im direkten Vergleich 5:1. Im Hinspiel der Punktrunde hatte der deutsche Nationalspieler mit 3:2 die Oberhand behalten. Diesmal drehte ein glänzend aufgelegter Gauzy den Spieß um. Und das, obwohl er im ersten Durchgang Satzbälle vergab und knapp in der Verlängerung verlor. „Das war sicher mein bisher bestes Spiel gegen Patrick. Ich habe heute so gut wie bei der WM gespielt, das war gegen ihn allerdings auch nötig“, sagte der Ochsenhausener und keiner konnte ihm widersprechen. Gauzys Triumph war das frühe „Break“ und ein Bigpoint für die TTF, der dem weiteren Verlauf des Endspiels die Richtung wies.
Hugo Calderano beißt sich gegen bärenstarken Liao Cheng-Ting durch
Allerdings bestätigte sich zunächst einmal die alte Regel, dass gerade in Finalsituationen manches nicht berechenbar ist. Hatten viele Ochsenhausen-Fans den Punkt von Hugo Calderano gegen den Taiwaner Liao Cheng-Ting, der keine sonderlich erfolgreiche Saison gespielt hat und als klarer Außenseiter an den Tisch ging, fest eingeplant und sich mental schon auf die Pausen-Bratwurst beim beruhigenden Stand von 2:0 eingerichtet, spielten beide Akteure da eine ganze Weile nicht mit. Es entwickelte sich ein nicht minder spannendes, über weite Strecken ausgeglichenes Duell – so wie zuvor bei Gauzy gegen Franziska und später bei Fegerl gegen Jorgic.
Zunächst hatte Weltklassespieler Calderano wenig Mühe und gewann den ersten Satz im ICE-Tempo. Doch dann geriet Sand ins Getriebe des 22-jährigen Brasilianers, was aber auch darauf zurückzuführen war, dass der Weltranglisten-110. Liao immer besser ins Spiel kam. Der Asiate hatte weniger zu verlieren als Calderano, der nach dem knapp verlorenen zweiten Durchgang erkennbar nervös wurde und bald auch den 1:2-Satzrückstand hinnehmen musste.
Die mehr als 150 Ochsenhausener Fans, 60 davon in den nagelneuen schwarzen Final-T-Shirts, spürten, dass ihr Idol Unterstützung benötigte und feuerten es unablässig an. Und die sechs Trommler im TTF-Block liefen zu Höchstform auf. Der Weltanglisten-Achte fing sich wieder und konnte das Match noch drehen gegen einen Gegner, der bis zum letzten Ball gefährlich blieb. „Liao hat heute super gespielt und vermutlich sein bestes Saisonspiel gemacht“, unterstrich Dmitrij Mazunov die Leistung des Saarbrückers. „Die Qualität Hugos hat sich darin gezeigt, dass er dieses schwierige Spiel noch herumgerissen hat. Er hat mit viel Kampf dagegengehalten aber auch mit kleineren taktischen Änderungen das Blatt zu seinen Gunsten gewendet.“
Stefan Fegerl ringt Darko Jorgic nieder und tütet TTF-Triumph ein
Somit lastete auf Saarbrückens Weltranglisten-40. Darko Jorgic nach der Pause mehr Druck als auf dem Ochsenhausener „Dreier“ Stefan Fegerl, doch das schien den 20-jährigen Slowenen überhaupt nicht zu beeindrucken. Jorgic legte los wie die Feuerwehr und gewann den ersten Satz im Rekordtempo mit 11:1 gegen einen Fegerl, der gar nicht wusste, wie ihm geschah. Im zweiten Durchgang schien sich die Wende anzubahnen. Auf einmal war der 30-Jährige voll da und dominierte eindeutig – jedoch nur bis zum Stand von 10:4. Denn plötzlich klappte das „Nachladen“ nicht mehr und Jorgic holte Punkt um Punkt auf. Mit 11:13 ging der Satz verloren, ganz ärgerlich für Fegerl und sicher unnötig. „Den zweiten Satz noch zu verlieren, hat schon sehr wehgetan“, so der TTF-Routinier. „Es hat lange gedauert, bis ich mich davon erholen konnte.“ Doch es gelang ihm, er gewann die folgenden drei Sätze knapp – es blieb ein Match zweier gleichwertiger Spieler – und zeigte dabei eine überragende kämpferische Moral. „Das war schwierig“, bekräftigte „Adrenalinkönig“ Fegerl. „Jorgic, gegen den ich beim Punktspiel in Saarbrücken noch klar verloren hatte, hat sehr gut gespielt, aber ich habe trotz des 0:2-Satzrückstands immer weiter gekämpft und irgendwann im Spiel gespürt, dass ich ihn noch packen kann. Und so kam es ja dann zum Glück auch.“
Um 17.59 Uhr war es vollbracht. Stefan Fegerl hatte seinen zweiten Matchball verwandelt und seine Mitspieler stürmten freudetrunken auf den hageren Österreicher ein, denn die TTF waren damit Deutscher Meister. Seine Entscheidung, sich nach seiner erfolgreichen Zeit in Düsseldorf den TTF anzuschließen, hat Fegerl keine Sekunde bereut. „Ich bin einfach dankbar, dass mir Ochsenhausen das Vertrauen geschenkt hat. Wir haben eine tolle, homogene Mannschaft, angeführt von unserem Trainer. Wir haben uns als Team rasch gefunden und harmonieren perfekt. Vor dem Finale hatten wir nochmals tolle gemeinsame Trainingseinheiten in Ochsenhausen. Ich bin sehr, sehr glücklich über den zweiten Titel nach so einer überragenden Saison.“
Fairer Vizemeister, zufriedener Bundesliga-Manager
Saarbrückens Trainer Slobodan Grujic, als fairer Sportsmann bekannt, zollte dem Sieger Anerkennung: „Ochsenhausen hat einfach gezeigt, dass sie die beste Mannschaft der Saison sind.“ Um dies zu belegen, braucht man nur die Statistik heranzuziehen. Von 27 Pflichtspielen in der Saison 2018/19 inklusive Pokal haben die Oberschwaben 23 gewonnen. Grujic räumte aber auch ein: „Dreimal mit 3:2 zu verlieren, ist schon schwer. Aber wir haben auch heute wieder bewiesen, dass wir sehr gut spielen können. Deshalb bin ich vor allem stolz und werde es auch noch lange bleiben.“
Sein Spitzenspieler Patrick Franziska, der alleine rund 50 Fans aus Familie und Bekanntenkreis zur Unterstützung mitgebracht hatte – seinen privaten Fanklub sozusagen –, sah es ganz ähnlich: „Ochsenhausen war in den entscheidenden Momenten einfach besser, speziell in den langen Ballwechseln. Daher können wir das Ergebnis akzeptieren, auch wenn es natürlich weh tut, mit 3:0 zu verlieren. Wir können trotzdem stolz sein, so weit gekommen zu sein und solch eine Riesen-Saison gespielt zu haben.“ Der 26-jährige Südhesse kündigte an: „In einem Jahr werden wir wieder hier sein, das haben wir uns fest vorgenommen.“
TTBL-Geschäftsführer Nico Stehle lobte alle Beteiligten: „Glückwunsch an beide Teams. Saarbrücken hat eine tolle Saison gespielt und stand in zwei Endspielen, mit Ochsenhausen ist heute die beste Mannschaft der Saison Deutscher Meister geworden. Aber auch die TTBL ist Sieger, denn sie hat gezeigt, dass sie mehr zu bieten hat als nur Borussia Düsseldorf. Sieger waren am Ende natürlich auch die Zuschauer, die für eine tolle Atmosphäre gesorgt haben und das vielleicht beste Endspiel der letzten Jahre gesehen haben.“ Freudig nahm Stehle überdies zur Kenntnis, dass im Vergleich zum Vorjahres-Finale 300 Besucher mehr den Weg in die Arena im Frankfurter Stadtteil Höchst gefunden hatten.
TTF Liebherr Ochsenhausen – 1. FC Saarbrücken TT 3:0
Simon Gauzy – Patrick Franziska 3:2 (10:12, 11:8, 11:8, 9:11, 11:8)
Hugo Calderano – Liao Cheng-Ting 3:2 (11:3, 13:15, 6:11, 11:8, 11:7)
Stefan Fegerl – Darko Jorgic 3:2 (1:11, 11:13, 11:9, 13:11, 11:8)
Video mit den Highlights des Finales auf der Webseite der TTBL
Text & Fotos (11): Dr. Stephan Roscher