Heute ist es so weit. In der Frankfurter Fraport Arena wird ab 15 Uhr vor großer Kulisse der letzte Titel der Saison vergeben. Es ist der Saisonhöhepunkt und -Ausklang zugleich, wenn sich die TTF Liebherr Ochsenhausen und der 1. FC Saarbrücken um den Titel des Deutschen Mannschaftsmeisters 2019 duellieren.
Von 2008 bis 2018 ging die deutsche Meisterschaft nur ein einziges Mal nicht an Borussia Düsseldorf – 2013 siegte Werder Bremen durch einen überraschenden Finalsieg ausgerechnet über Ochsenhausen.
Gauzy und Co. stehen zum zweiten Mal in Folge im Liebherr TTBL-Finale. Vor mindestens 3.000 Tischtennisfans in der Frankfurter Fraport Arena will man diesmal den Bock umstoßen und zum vierten Mal nach 1997, 2000 und 2004 den Meisterpokal nach Oberschwaben holen – es wäre der zehnte Titel der Vereinsgeschichte. Vor einem Jahr hatte man noch Boll und Kollegen nach einem 1:3 gratulieren müssen.
Wie sich Titel und Siegerpokale im TTF-Dress anfühlen, hat Dmitrij Mazunov bereits als Spieler mehrfach getestet und immer wieder betont, dass es berauschende Momente waren. Und nun könnte der Ochsenhausener Cheftrainer zum krönenden Abschluss seiner Debütsaison als erster Mann auf der Kommandobrücke mit seinen Schützlingen eine tolle Saison nach dem Gewinn des Pokalwettbewerbs mit dem zweiten aktuellen Siegespokal krönen – eine bessere Ausbeute wäre gar nicht möglich, da die Oberschwaben auf die Champions League verzichtet hatten.
Saarbrücken mit vielen Fans im Rücken
Anders die Saarbrücker, die in ihrer Königsklassen-Gruppe mit viel Pech nur Dritter wurden und in den ETTU Cup wechselten, wo sie später im Finale – wiederum knapp – gegen Hennebont den Kürzeren zogen. In den Play-off-Endspielen 2012 und 2016 war auch der FCS am Überflieger aus der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt gescheitert und wittert nun die Chance auf den ersten nationalen Meistertitel der Vereinsgeschichte. Als Tabellendritter der Topliga Europas haben sie in der Punktrunde voll und ganz überzeugt und tolles Tischtennis geboten. Im Halbfinale dann das Highlight als man – im zweiten Spiel mit 1.300 Fans im Rücken – die „große“ Düsseldorfer Borussia niedergerungen hat (3:2, 3:1).
Die Saarländer um ihren außergewöhnlich starken Spitzenspieler Patrick Franziska und Jungstar Darko Jorgic sind eine Macht und gewiss nicht leicht auf Distanz zu halten. Franziskas unglaubliche Bundesliga-Bilanz von 27:4 – die Play-offs mitgerechnet – spricht Bände. Ihn zu schlagen, wäre die halbe Miete für die Oberschwaben, die aber auch damit rechnen müssen, dass der Ausnahmespieler vom Rande des Odenwaldes beide Einzel gewinnt, sofern er nicht taktisch an einer anderen Position aufgestellt wird.
Viele Saarbrücker Anhänger werden aus dem Südwesten anreisen und ihr Team nach vorne treiben. Sie werden in der Halle den größten Block stellen. „Wir fahren mit drei Fan-Bussen. Dazu kommen nochmal 150 Anhänger, die mit dem Auto oder der Bahn anreisen“, berichtet FCS-Teammanager Nicolas Barrois. Doch es werden mehr als 300 Saarbrücker Anhänger nach Frankfurt kommen. Familienmensch Franziska hat seine Verwandtschaft plus viele Bekannte angekündigt: „Das ist geil, dass uns so viele Leute unterstützen werden. Von mir daheim kommen auch nochmal 50 bis 60. Allein dafür brennt man schon“, sagt der Bensheimer voller Vorfreude, der im Gegensatz zum ETTU-Cup-Finale wieder topfit ist.
Die TTF-Asse werden sich aber auch nicht verstecken müssen. In Frankfurt wird es nämlich auch eine „blaue Wand“ von 150 bis 200 Ochsenhausener Anhängern geben, die die 365 Kilometer weite Fahrt auf sich nehmen – von Saarbrücken sind es nur 190 Kilometer bis zur Frankfurter Vorzeige-Arena. Und die in Sonderbus und PKWs anreisenden Oberschwaben werden alles dafür tun, dass sich ihre Idole wie zu Hause fühlen. „Wir fahren mit reichlich Verstärkung zum TTBL-Finale. Unsere Fans werden die Jungs Punkt für Punkt nach vorne peitschen“, ist TTF-Projekt-Manager Manuel Pfender überzeugt.
Kein Favorit in Sicht
Sportlich kann man es drehen und wenden wie man will: Es gibt keinen Favoriten. Die Tagesform und auch das berühmt-berüchtigte Quäntchen Glück werden den Ausschlag geben. Auch wer besser ins Match hineinkommt und die bei einem Endspiel vor großer Kulisse obligatorische Anfangsnervosität schneller ablegen kann, ist vielleicht schon entscheidend im Vorteil. Die Oberschwaben kündigen an, bestens vorbereitet und mit viel Selbstvertrauen in den Ring zu steigen. Sie werden hoch fokussiert sein und sind bis in die Haarspitzen motiviert. Sie wollen vom ersten bis zum letzten Ball in den Kampfmodus schalten – anders kann man ein solches Finale auch nicht gewinnen. Dennoch wird vieles davon abhängen, ob Topmann Hugo Calderano, aktuelle Nummer acht der Welt, einen guten Tag erwischt. Andersherum gilt dies natürlich auch für Patrick Franziska.
Die TTF wollen zum allem Kampfgeist auch ausstrahlen, was ihnen ihr Vereinspräsident Kristijan Pejinovic ans Herz gelegt hat: „Wichtig ist, dass die Jungs locker bleiben, ihren Spaß haben und sich auf das Finale, das sie sich redlich verdient haben, freuen. Sie sollen es genießen.“ Und am besten kann man ein Finale bekanntlich genießen, indem man es gewinnt.
Dass der FCS, Gründungsmitglied der Tischtennis-Bundesliga in der Saison 1966/67, knapp im Finale des ETTU Cups gescheitert ist – nicht zuletzt der inzwischen auskurierten Zehen-Verletzung Franziskas geschuldet –, ist sicher kein Vorteil für das Team aus Oberschwaben, das ja als Deutscher Pokalsieger 2018/19 bereits einen Titel eingetütet hat. Umso heftiger werden die Saarländer angreifen, wild entschlossen, ihre letzte Titelchance zu nutzen. Sie haben eine außerordentlich gute Saison gespielt und werden alles hineinwerfen, was ihnen möglich ist – und das ist gewiss nicht wenig.
Um den Hauptdruck dem Gegner zuzuschieben, sind sie bemüht, sich behaglich in der Außenseiterrolle einzurichten, wohl wissend, dass es eigentlich keinen Außenseiter und auch keinen Favoriten gibt. Auch wenn der in Köln ansässige Sport-Informations-Dienst (sid) die Oberschwaben als Favoriten ansieht und Bundestrainer Jörg Roßkopf „leichte Vorteile für Ochsenhausen“ erkennt. „Rossi“, gerade 50 Jahre jung geworden, rechnet aber auch mit einem engen Match und kann sich gut vorstellen, dass erst im Doppel die Entscheidung fällt. „Mr. Tischtennis“ freut sich auf den Meisterschafts-Showdown am Main. „Es tut mal ganz gut, andere Teams im Finale zu sehen“, sagt der frühere Borussia-Profi nach dem Ende der Erfolgssträhne von Boll und Kollegen.
Gauzy, Fegerl und Mazunov glauben an die Titelchance
„Wir stehen nach 2018 zum zweiten Mal in Folge in Frankfurt und möchten das Finale dieses Mal gewinnen“, lässt Simon Gauzy keinen Zweifel aufkommen. „Mit dem 1. FC Saarbrücken haben wir einen Gegner, der Borussia Düsseldorf geschlagen hat – das allein spricht schon für sich und zeigt uns, wie stark Saarbrücken ist. Wir freuen uns auf ein tolles Finale.“ Der 24-jährige Franzose freut sich auch auf die Unterstützung von den Rängen: „Ich hoffe, dass unsere großartigen Fans uns, wie die gesamte Saison über, lautstark unterstützen und uns helfen, das Double zu gewinnen.“
Stefan Fegerl, in den Play-offs aktuell noch ohne Satzverlust und in beiden Halbfinals gegen Bergneustadt in Galaform, liebt Finalsituationen, in denen er für gewöhnlich reichlich Adrenalin mobilisieren kann. „Nach dieser tollen Saison fahren wir mit einer breiten Brust nach Frankfurt und möchten natürlich auch den Titel mit nach Ochsenhausen nehmen“, sagt Fegerl. „Das wird aber nicht einfach, denn Saarbrücken ist eine sehr starke Mannschaft und wird uns einen großen Kampf liefern.“
Auch der Cheftrainer, dessen Vertrag gerade erst verlängert wurde, rechnet mit einem heißen Tanz in Hessen. „Tag für Tag wird die Vorfreude auf das Finale größer und man merkt den Jungs an, dass sie es kaum erwarten können, an den Tisch zu dürfen“, hat Dmitrij Mazunov registriert. „Im Finale erwarte ich das schwerste Spiel der Saison, denn Saarbrücken ist eine sehr starke Mannschaft und genießt in Frankfurt sicherlich einen leichten Heimvorteil. Daher hoffe und baue ich auch auf unsere Fans am Samstag und verspreche, dass wir alles geben werden.“
Hoch motivierte Saarländer wollen Ochsenhausen den Tag verderben
„Alles gut“, antwortet Patrick Franziska auf die Frage nach seiner Gesundheit. Dass er am Dienstag „ein bisschen erkältet“ war, sei ebenfalls kein Problem. „Ich denke, Ochsenhausen ist Favorit. Die Spieler stehen im direkten Vergleich alle höher als wir in der Weltrangliste. Aber wir glauben an uns. Und wir haben ja auch schon gezeigt, dass wir gegen die gewinnen können“, erinnert Franziska selbstbewusst an den unerwartet deutlichen 3:0-Heimsieg der Saarbrücker gegen Ochsenhausen – in Ehingen hatten dagegen die TTF mit 3:1 die Nase vorne..
FCS-Trainer Slobodan Grujic erwartet den Gegner in der Aufstellung Calderano, Gauzy, Dyjas: „Jakub Dyjas spielt zurzeit stark und hatte zuletzt gute Ergebnisse.“ Andererseits könnten wir uns gut vorstellen, dass Stefan Fegerl als Adrenalinspieler und erfahrener Leitwolf von „Dima“ Mazunov berücksichtigt wird. Taktisch ist laut Grujic am Samstag nicht viel Spielraum gegeben: „Beide wissen, was zu erwarten ist. Da kann keiner den anderen überraschen.“ Der 45-jährige Erfolgscoach vertraut auf die Stärke seiner Spieler, insbesondere auf Überflieger Franziska, den in dieser Saison mit Abstand besten Einzelspieler der TTBL. „Patrick hat eine überragende Bilanz. Natürlich sind wir ein Stück weit abhängig von einem guten Franziska“, sagt Grujic und fügt augenzwinkernd hinzu: „Ich hoffe, zwei Siege sind noch drin.“
Darko Jorgic ist ebenfalls gesetzt. „Darko kann schon jetzt an einem guten Tag jeden schlagen“, ist „Bobo“ Grujic felsenfest überzeugt. Jorgic selbst fühlt sich nach eigenen Worten „vor dem Endspiel ein bisschen nervös“, habe aber ansonsten „keine Probleme“. Für die dritte Position kommen Liao Cheng Ting oder Tomas Polansky in Frage – wer von beiden den Vorzug erhält, wird sich wohl erst am Spieltag entscheiden.
Das sensationelle Halbfinale gegen Düsseldorf hat Begehrlichkeiten geweckt. „Wenn du im Endspiel stehst, willst du das Ding natürlich unbedingt gewinnen“, sagt Patrick Franziska. Und Darko Jorgic fügt hinzu: „Wir werden alles dafür geben, dass der nächste deutsche Meister 1. FC Saarbrücken heißt.“
Aller guten Dinge sind drei – und das gilt für beide
Aller guten Dinge sind bekanntlich drei – nach den Final-Niederlagen von 2013 und 2018 im Hexenkessel von Frankfurt wollen die TTF Liebherr Ochsenhausen am Samstag der gesamten Tischtenniswelt demonstrieren, dass sie die Klasse besitzen, im dritten Anlauf zum ersten Mal in der Fraport Arena sowie zum vierten Mal überhaupt Deutscher Meister zu werden. Doch das gilt auch für die Saarbrücker, die nach 2012 und 2016 den dritten Versuch erfolgreich gestalten wollen.
Wer es auch sein mag, der Sieger wird vermutlich Weltklasse-Tischtennis bieten müssen, um die Trophäe nach Hause zu tragen. Beide Mannschaften sind am Freitag nach Frankfurt gereist und haben vor Ort ihre letzte Trainingseinheit absolviert. Alles ist für ein grandioses Finale angerichtet. Die Spannung ist bereits jetzt zum Greifen.
Die Mannschaften
1. FC Saarbrücken TT
Patrick Franziska GER, 26 Jahre, Weltrangliste Platz 17, TTBL inkl. Play-offs 27:4
Darko Jorgic SLO, 20 Jahre, WRL 40, TTBL 16:10
Liao Cheng-Ting TPE, 23 Jahre, WRL 110, TTBL 4:4
Tomas Polansky CZE, 20 Jahre, WRL 304, TTBL 4:7
Tobias Rasmussen DEN, 22 Jahre, WRL 183, TTBL 2:6
Doppel: 6:3 (Jorgic/Liao 3:0, Franziska/Rasmussen 1:1, Jorgic/Rasmussen 1:1, Jorgic/Polansky 1:1)
Cheftrainer: Slobodan Grujic SRB, 45 Jahre
TTF Liebherr Ochsenhausen
Hugo Calderano BRA/POR, 22 Jahre, WRL 8, TTBL inkl. Play-offs 15:6
Simon Gauzy FRA, 24 Jahre, WRL 27, TTBL 14:9
Stefan Fegerl AUT, 30 Jahre, WRL 66, TTBL 10:8
Jakub Dyjas POL, 23 Jahre, WRL 70, TTBL 12:4
Doppel: 5:2 (Fegerl/Dyjas 2:1, Fegerl/Gauzy 2:0, Calderano/Fegerl 1:0, Dyjas/Gauzy 0:1
Cheftrainer: Dmitrij Mazunov RUS, 47 Jahre
Text & Foto Fraport Arena: Dr. Stephan Roscher
Teamfotos: Vereine