Acht Stunden hatte man sich zuvor um den Titel duelliert, ohne dass irgendwer einen kleinen Vorteil herausschlagen konnte. Doch heute ging alles schneller. Nervöse, sichtlich gehemmte Gastgeberinnen hatten keine Chance gegen den neuen Deutschen Meister aus Bayern.
Gut 350 Zuschauer, die sich – nach zwei Unentschieden – erneut auf einen ellenlangen Schlagabtausch auf Augenhöhe eingestellt hatten, staunten nicht schlecht. Dabei geschah eigentlich nur das, was sich gar nicht so selten abspielt, wenn zwei gleichwertige Mannschaften aufeinandertreffen und die eine einen gebrauchten Tag erwischt hat, während der anderen einfach alles gelingt. Und so kam es heute in der Binger Grundschule am Mäuseturm, wo den Gastgeberinnen so gut wie nichts gelang und der Truppe aus Oberbayern so gut wie alles glückte.
Es ging um die historische Chance, einmal zum Titelgewinn zu kommen, bevor der ttc berlin eastside kommende Saison aller Voraussicht nach wieder das Heft in die Hand nimmt. Die Aussicht auf Meisterehren ließ Bingen diesmal verkrampfen – 10:20 Sätze und 263:311 Bälle dokumentieren das Ungleichgewicht im dritten Finalspiel.
Selbst die 51-jährige Ding Yaping, die schon alles erlebt hat, wirkte in ihrem letzten Spiel für die TTG irgendwie gehemmt -, während Kolbermoor genau die richtige, positive Spannung mitbrachte, mit der man große Erfolge erzielt. Somit ist der Gewinn der Meisterschaft auch absolut verdient für Winter und Co.
Dennoch sollte man sich seitens des Verbandes und der Liga Gedanken machen, ob es wirklich zielführend ist, wenn – ungeachtet der ungemein sympathischen Ausstrahlung von Liu Jia – eine Weltklassespielerin plötzlich in den Play-offs auftaucht, die in der gesamten Punktrunde keinen einzigen Ball gespielt hat.
Nach den Doppeln gab es noch keinen Grund für die Rheinhessinnen, den Weltuntergang vor Augen zu sehen. Schließlich hatten sie auch in den beiden ersten Partien alle Doppel verloren, danach aber richtig aufgedreht. Doch diesmal wollte das nicht gelingen. Ding Yapings Niederlage gegen die wiedererstarkte Kristin Lang, die zuvor die gruselige Play-off-Bilanz von 2:11 aufwies, war schon eine kleine Vorentscheidung und signalisierte den TTG-Assen, dass diesmal wenig Positives zu erwarten war, wenn schon die Führungsspielerin patzte. Für das Nervenkostüm der Gästespielerinnen war der Ausgang dieses Matchs indes Doping.
Auch wenn es der in den Play-offs überragenden Tschechin Hana Matelova (Bilanz: 8:0) ein drittes Mal gelang, Liu Jia zu schlagen, zog Kolbermoor sein Ding nun gnadenlos durch. Zumal als die routinierte Svetlana Ganina ihre Niederlagenserie gegen Yuan Wan endlich beendet und nach 0:2-Satzrückstand noch gewonnen hatte. 4:1 stand es für das Gästeteam, das bereits auf die Zielgerade zum ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte eingebogen war.
Die Damen aus Bingen wirkten verzweifelt. So wundert es nicht, das Sabine Winter Marie Migot im vierten Einzel des Tages gnadenlos abfertigte, der sie sechs Tage zuvor in Kolbermoor noch überraschend unterlegen war.
Ein Pünktchen noch fehlte zum Triumph – und „Susi“ alias Liu Jia ließ sich nicht lange bitten. Die 36-jährige Österreicherin mit chinesischen Wurzeln, die schon in den ersten beiden Play-offs Ding Yaping geschlagen hatte und gut gegen Abwehr agiert, ließ nichts mehr anbrennen und nutzte nach insgesamt 172 Minuten ihren dritten von sechs Matchbällen. Der Rest ging in grenzenlosem Jubel unter.
„Das war wirklich sensationell“, so Kristin Lang. „Nach zweimal 5:5 hätten wir es nicht für möglich gehalten, heute hier so klar zu gewinnen. Jede ist über sich hinausgewachsen. Wir freuen uns sehr über den Titel.“ Und Teamkollegin „Susi“ stellte hocherfreut fest: „Jetzt habe ich alle großen europäischen Titel: Champions-League-Sieger, Super-Liga-Champion, deutscher und österreichischer Meister sowie Einzel-Europameisterin – ein Traum.“
TTG Bingen/Münster-Sarmsheim – SV DJK Kolbermoor 1:6
Ding Yaping/Yuan Wan – Kristin Lang/Sabine Winter 2:3 (9,-10,4,-6,-5)
Hana Matelova/Marie Migot – Liu Jia/Katharina Michajlova 1:3 (-9,-10,8,-7)
Ding Yaping – Kristin Lang 1:3 (8,-5-12,-6)
Hana Matelova – Liu Jia 3:2 (8,15,-7,-7,9)
Wan Yuan – Svetlana Ganina 2:3 (8,6,-11,-3,-7)
Marie Migot – Sabine Winter 0:3 (-7,-7,-7)
Ding Yaping – Liu Jia 1:3 (-7,9,-6, -6)
2. PLAY-OFF
SV DJK Kolbermoor – TTG Bingen/Münster-Sarmsheim 5:5
Liu Jia/Katharina Michajlova – Ding Yaping/Yuan Wan 3:0 (4,10,7)
Kristin Lang/Sabine Winter – Hana Matelova/Marie Migot 3:1 (10,-13,12,8)
Liu Jia – Hana Matelova 2:3 (14,-10,-6,11,-7)
Kristin Lang – Ding Yaping 1:3 (9,-7,-9,-6)
Sabine Winter – Marie Migot 0:3 (-6,-5,-9)
Svetlana Ganina – Yuan Wan 2:3 (-10,-8,7,9,-10)
Liu Jia – Ding Yaping 3:2 (7,-12,-3,9,7)
Kristin Lang – Hana Matelova 2:3 (9,10,-6,-2,-8)
Sabine Winter – Yuan Wan 3:1 (5,9,-12,0)
Svetlana Ganina – Marie Migot 3:1 (5,6,-9,7)
1. PLAY-OFF
TTG Bingen/Münster-Sarmsheim – SV DJK Kolbermoor 5:5
Ding Yaping/Wan Yuan – Kristin Lang/Sabine Winter 1:3 (6,9,-9,5)
Hana Matelova/Marie Migot – Liu Jia/Katharina Michajlova 1:3 (-9,-12,10,-11)
Ding Yaping – Kristin Lang 3:2 (8,-10,11,-7,9)
Hana Matelova – Liu Jia 3:0 (10,11,8)
Wan Yuan – Svetlana Ganina 3:0 (14,6,9)
Marie Migot – Sabine Winter 1:3 (8,-9,-8,-11)
Ding Yaping – Liu Jia 1:3 (-6,8,-8,-8)
Hana Matelova – Kristin Lang 3:0 (8,4,4)
Wan Yuan – Sabine Winter 3:2 (8,6,-6,-9,7)
Marie Migot – Svetlana Ganina 0:3 (-8,-5,-6)
Text und Fotos (2): Dr. Stephan Roscher