Fast 2.000 Zuschauer in der Neu-Ulmer ratiopharm arena erlebten ein denkwürdiges Spiel. Glänzend aufgelegte Ochsenhausener mit dem überragenden Simon Gauzy ließen Rekord-Champion Borussia Düsseldorf alt aussehen und siegten verdient mit 3:1.
Es war bereits der zweite Sieg der Oberschwaben in dieser Saison gegen die Rheinländer – das Hinspiel war mit 3:2 gewonnen worden –, doch diesmal ungleich höher einzuschätzen, da in der Vorrunde Timo Boll verletzungsbedingt fehlte, der in Neu-Ulm als Düsseldorfs Nummer eins auflief.
Die TTF-Asse nahmen nach den mitreißenden 180 Minuten mit glücklichen Gesichtern die Ovationen der Fans entgegen – so etwas erleben auch sie nicht alle Tage.
Damit hat sich das jüngste Team der Bundesliga vorzeitig für die Play-off-Runde qualifiziert, während der prominente Gegner mit einer der erfahrensten Mannschaften der Liga nachsitzen muss und nun Schlüsselspiele vor sich hat, die man unbedingt gewinnen muss. Ganz besonders gilt das für die Partie gegen die punktgleichen Bergneustädter Schwalben (3:1-Sieger in Grünwettersbach) am 13. März. Gewinnen Boll und Kollegen, haben sie Platz vier aufgrund der klar besseren Spiele-Differenz sicher, verlieren sie, ist die Saison so gut wie verpfuscht.
Das Gerangel um Platz vier können die Ochsenhausener gelassen betrachten, sie stehen nach dem 16. Spieltag auf Platz zwei, Erster ist Saarbrücken, Dritter Fulda-Maberzell. Auf einem dieser drei Plätze wird man definitiv auch ins Ziel einlaufen. Vorzeitig für die Play-offs qualifiziert sind alle drei Klubs. Und dort ist natürlich alles möglich, besonders wenn man, wie gegen die Borussia, gesehen hat, welches spielerische und kämpferische Potenzial in der Truppe aus Oberschwaben steckt.
Zum Auftakt zeigte Simon Gauzy, weshalb er aktuell die Nummer 27 der Welt ist. Dem deutschen Nationalspieler Patrick Franziska, der verunsichert wirkte, ließ der TTF-Franzose beim 3:0 nicht den Hauch einer Chance. Es fing also optimal für den Gastgeber an, würde dieser nachlegen können?
Erinnerungen an das letzte „Weltklasse-Match“ vom 19. Oktober 2014 wurden wach, als Hugo Calderano und Timo Boll die Box betraten. Schließlich hatte der damals gerade 18 gewordene Brasilianer an jenem Tag die verdutzte Tischtennis-Ikone düpiert und mit 3:0 aus der Halle „geprügelt“. Ob etwas Derartiges zweimal in Folge möglich sein würde? Weit davon entfernt blieb der inzwischen 19-jährige TTF-Youngster auch diesmal nicht, doch ist es eben schwieriger, einen Sieg gegen einen Spitzenmann wie Boll zu verteidigen als ihn einmal kalt zu erwischen.
Man merkte Calderano an, dass er es unbedingt nochmals schaffen wollte, vielleicht einen Tick zu sehr. Und Boll, dass er sich unbehaglich fühlte und um keinen Preis nochmals den Kürzeren ziehen wollte, zumal ihm das Spiel des Lateinamerika-Champions nicht liegt, speziell wenn dieser weiche Rückhandtopspins mit viel Spin auf die Aufschläge des Weltranglisten-Neunten zieht, die diesem regelmäßig ins Nirwana verspringen. In dem umkämpften Match setzte sich dann aber doch die Erfahrung des Rekord-Europameisters durch, der die extrem engen Sätze eins und drei eben doch noch nach Hause schaukelte und letztlich mit 3:1 gewann. Timo Boll atmete tief durch.
Dass nun ein vorentscheidendes Match kommen würde, war fast allen der 1.950 Besucher klar. Und das Duell zwischen Liam Pitchford und dem Inder Kamal Sharath Achanta wurde zum echten Thriller, der nichts für schwache Nerven war. Pitchford legte in fast allen Sätzen gut vor, konnte dann aber das Niveau nicht halten und verlor wiederholt den Faden, was der erfahrene Borussia-Dreier konsequent ausnutzte. Nach 1:2-Satzrückstand schien der schlaksige Engländer auf der Verliererstraße, die Körpersprache wirkte schon verzweifelt. Doch er gab sich einen Ruck, bäumte sich auf und zeigte Charakter. In der Verlängerung riss er den vierten Durchgang noch aus dem Feuer und spielte dann im Entscheidungsdurchgang einen seiner besten Sätze der bisherigen Saison – Achanta konnte nur noch staunend zuschauen, was Pitchford plötzlich alles traf.
2:1 für den Außenseiter – gegen Düsseldorf in Top-Besetzung ist das nach wie vor jede Mannschaft in Deutschland. Es roch ein wenig nach der Sensation, aber nur ein wenig, denn noch nie hatte Simon Gauzy etwas gegen Timo Boll ausrichten können – und dieses Match stand nun auf dem Spielbogen.
Doch alles hat schließlich ein erstes Mal – und daran glaubte Gauzy, das spürten die Zuschauer an seinen Bewegungen und seiner Körpersprache. Bevor Boll sich versah, lag sein Kontrahent, dem fast alles gelang, mit 2:0 Sätzen in Front. Und es sah auch im folgenden Durchgang richtig gut für den Herausforderer aus. Gauzy ging schnell mit 4:0 in Führung, Boll schaute missmutig drein und hatte plötzlich eine richtig gute Idee. Er nahm eine Auszeit, bremste damit den Rhythmus des 21-jährigen Ochsenhauseners und traf danach nahezu nach Belieben. Satz drei ging klar an Boll. Und im vierten Durchgang konnte Gauzy seine zwischenzeitlich klare Führung nicht ins Ziel bringen. 9:11 – mit einem Mal sah es so aus, als sollte es eben doch nicht sein und Boll seine weiße Weste in der TTBL behalten dürfen. Der Franzose riss sich aber zusammen und war auf einmal wieder hoch konzentriert. Und er wechselte mit einer 5:3-Führung die Seite, baute anschließend seinen Vorsprung gar auf 9:4 aus, um schließlich um 17:58 Uhr seinen zweiten Matchball zum 11:5 zu verwandeln.
Der Rest war Jubel und Begeisterung – die TTF Liebherr Ochsenhausen hatten tatsächlich die „große“ Borussia in Bestbesetzung gepackt. Und das in diesem tollen Rahmen vor großer Kulisse. Eigentlich nicht zu toppen!
Die Oberschwaben blicken insgesamt auf ein äußerst gelungenes Event zurück, dessen Sahnehäubchen natürlich das grandiose Match gegen Boll und Co. war. Schon am Vorabend hatte es ein gediegenes Festbankett über den Dächern von Ulm gegeben. Am Sonntagvormittag wurde die „nanuuu PingPong Challenge“ an Mini-Tischen mit Spezialschlägern in der Arena ausgetragen – rund 60 begeisterte, meist jüngere Teilnehmer kämpften um den begehrten Zugang zur VIP-Lounge beim Spiel und tauschten sich zudem zwanglos mit Vertretern hochkarätiger Firmen aus der Region aus. Es geht hier nicht zuletzt um Kommunikation, Vernetzung und den Aufbau von Kontaken zu potenziellen Arbeitgebern. Und nach der Bundesliga-Partie wurde es nochmals richtig laut. Die sympathischen Ochsenhausener Rap-Brüder des Duos SAM, bereits mit der CD „Two True Brothers“ auf dem Markt – von Amazon bis iTunes überall erhältlich – und von der Körpergröße eher an Profi-Basketballer als an Tischtennisspieler erinnernd, holten 45 Minuten lang genau dort, wo zuvor Simon Gauzy seinen Triumph gegen Boll zelebriert hatte, alles aus sich heraus und wurden mit stehenden Ovationen der Fangemeinde belohnt.
Stimmen zum Spiel
Simon Gauzy: „Das war fantastisch, ich bin sehr, sehr glücklich! Natürlich über den Sieg der Mannschaft, mit dem wir die Play-offs klargemacht haben. Aber auch über meinen Sieg gegen Timo Boll. Es war das erste Mal, dass ich gegen Timo überhaupt gewinnen konnte, früher hatte ich nie eine Chance gegen ihn gehabt. Hinzu kommt, dass Timo immer mein ganz großes Idol war, schon in der Jugend. Bei mir lief es heute einfach gut und ich war sehr zufrieden mit meinen Auftritten, auch gegen Franziska.“
Liam Pitchford: „Ich bin einfach nur happy, ein toller Tag für uns alle!“
TTF-Cheftrainer Dubravko Skoric: „Wir haben heute ein großartiges Match erlebt, unsere Jungs haben sehr viel Power, Spirit und Leidenschaft gezeigt. Deshalb war unser Sieg auch verdient. Ich bin natürlich froh, dass Simon gegen Timo den Sack zumachen konnte. Im letzten Match wäre Hugo, der nicht so gerne gegen Abwehr spielt, gegen Gionis gekommen. Andererseits hat der Junge inzwischen eine solche Inspiration, dass ich ihm auch das heute zugetraut hätte. Er hätte auch erneut gegen Boll gewinnen können, nur wollte er vielleicht einen Tick zu viel, aber sein Spiel ist schwierig für Boll zu lesen.“
TTF-Präsident Kristijan Pejinovic: „Natürlich bin ich mehr als zufrieden, das war schon ein ganz besonderer Tag für uns. Ein echtes Sahnehäubchen! Letztes Jahr hatten wir hier noch knapp verloren, diesmal haben wir den Sack zumachen können und den Zuschauern wirklich sehenswertes Tischtennis geboten. Besser geht es nicht, tolle Halle, tolles Publikum, tolles Event und ein toller Sieg. Keine Frage, das ist schon ein großartiges Gefühl!“
Timo Boll: „Ich muss zugeben, dass sich Simon stark verbessert hat. Zudem hat mir einer seiner Aufschläge heute ziemliche Probleme bereitet. Gegen ihn kann man verlieren, er zählt mittlerweile zu den Topspielern in Europa. Insgesamt haben die Zuschauer heute ein gutes Bundesligaspiel gesehen, das Ochsenhausen nicht unverdient gewonnen hat.“
Düsseldorfs Trainer Danny Heister: „Glückwunsch! Ochsenhausen hat heute sehr gut gespielt und wir haben nicht so gut gespielt, von daher geht der Sieg in Ordnung, auch wenn er für mich nach unserer guten Serie zuletzt etwas überraschend kam. Es hat sich einmal mehr gezeigt, wie ausgeglichen die Liga in der Spitze ist. Es gibt keinen Titelfavoriten. Und wir müssen jetzt erst mal sehen, dass wir uns in den restlichen zwei Spielen für die Play-offs qualifizieren.“
Das Spiel in der Übersicht
TTF Liebherr Ochsenhausen – Borussia Düsseldorf 3:1
Simon Gauzy – Patrick Franziska 3:0 (11:7, 11:2, 11:8)
Hugo Calderano – Timo Boll 1:3 (9:11 11:9, 11:13, 7:11)
Liam Pitchford – Kamal Sharath Achanta 3:2 (6:11, 11:7, 5:11, 14:12, 11:6)
Simon Gauzy – Timo Boll 3:2 (11:9, 11:8, 5:11, 9:11, 11:5)
TTBL, 16. Spieltag – alle Ergebnisse
1.FC Saarbrücken TT – TTC Zugbrücke Grenzau 3:2
ASV Grünwettersbach – TTC Schwalbe Bergneustadt 1:3
TTC Hagen – Post SV Mühlhausen 0:3
SV Werder Bremen – TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell 2:3
TTF Liebherr Ochsenhausen – Borussia Düsseldorf 3:1