Das war ganz großes Kino in der Zugbrückenhalle. 550 Zuschauer sahen neun Tage vor Heiligabend das Grenzauer Spiel des Jahres. Mit 3:2 schlugen die Westerwälder am ersten Rückrundenspieltag Rekordmeister Borussia Düsseldorf.
Ähnliches war ihnen zuletzt am 10. April 2011 gelungen, als sie sich zu Hause gegen den Favoriten aus Nordrhein-Westfalen ebenfalls mit 3:2 durchgesetzt hatten – damals war es das Hinspiel im Play-off-Halbfinale, in dem man letztlich doch den Kürzeren zog.
Held des Tages war Andrej Gacina, der nicht nur Patrick Baum, sondern – nach vielen engen Matches zwischen den beiden – diesmal endlich auch Timo Boll schlagen konnte. Aber auch das Nesthäkchen im Team des Außenseiters, der 19-jährige Masaki Yoshida, muss hervorgehoben werden. Der 1,68 Meter kleine Japaner behielt – wie schon gegen Ochsenhausen eine Woche zuvor – beim Stand von 2:2 im alles entscheidenden Schlusseinzel kühlen Kopf und besiegte mit Baum immerhin den zweimaligen Einzel-Vizeeuropameister.
Dreieinhalb Stunden Tischtennis vom Allerfeinsten, dazu eine unbeschreiblich prickelnde Atmosphäre und eine Dramaturgie, die wirklich nichts für schwache Nerven war – mehr kann der Tischtennisfan nicht geboten bekommen.
Grenzaus Präsident Manfred Gstettner hatte vor der Partie die Überzeugung geäußert: „Wir werden alle Register unseres Könnens gegen Boll & Co. ziehen müssen, damit es zum offenen Schlagabtausch kommt.“ Das war auch als Aufforderung an die Spieler zu verstehen. Und die taten genau das, was ihr Boss wünschte, und kämpften um jeden Ball, als ginge es um ihr Leben. Doch auch in spielerischer Hinsicht waren die wackeren Westerwälder ebenbürtig.
Mit dem Selbstbewusstsein einer Mannschaft, die von den letzten sechs Pflichtspielen fünf gewonnen hatte, attackierten TTC-Spitzenspieler Gacina und seine Kollegen vom ersten Ballwechsel an den Tabellenzweiten im ewig jungen Duell der beiden erfolgreichsten Klubs der Bundesligageschichte. Allerdings hatte auch der alte Rivale vier Bundesligaspiele in Folge gewonnen, in der Champions League jedoch zwei deftige Niederlagen kassiert und war in der Vorrunde ausgeschieden. Doch gerade nach solchen Schlappen, wie dem 0:3 gegen Chartres am Freitag, waren sie in der Liga stets extrem stark aufgetreten und hatten sich den ganzen Frust von der Seele gespielt.
Im Auftaktmatch bestätigte Andrej Gacina, in der Weltrangliste auf Platz 32 vorgerückt, seine gute Form der letzten Wochen. Nach verlorenem erstem Satz hatte er sich gut auf Patrick Baum (WRL 24) eingestellt, wenngleich es bei seinem 3:1-Erfolg in den Durchgängen zwei und vier recht eng zuging.
Gegen den Weltranglistenachten Timo Boll, das große Aushängeschild der Düsseldorfer, blieb der junge Masaki Yoshida anschließend unter seinen Möglichkeiten und agierte viel zu hektisch, um gegen den weltbekannten Linkshänder aus dem Odenwald etwas reißen zu können. 1:1 zur Pause, doch viele sahen die Borussia zu diesem Zeitpunkt bereits wieder im Vorteil.
Nach der Pause trafen die beiden an Position drei aufgestellten Akteure aufeinander. Einhellige Meinung auf den gut gefüllten Rängen war, dass Lubomir Jancarik den im ITTF-Ranking 106 Plätze höher notierten Kamal Sharath Achanta unbedingt bezwingen müsse, wenn die Truppe von der Zugbrücke eine echte Siegchance haben wollte. Der hochgewachsene Tscheche schien bei 2:1-Satzführung auf gutem Weg zu sein, doch der Faden riss, allerdings wurde auch der Inder immer sicherer, so dass er die Borussia schließlich doch noch mit 2:1 in Führung bringen konnte. Grenzaus Cheftrainer Anton Stefko: “Lubomir hat im fünften Satz den Anfang verpasst und drei leichte Fehler gemacht. Das ist gegen einen Mann wie Achanta kaum mehr aufzuholen.“
Die Gäste spekulierten nun darauf, dass Timo Boll den Sack zumachen würde, um mit einem 3:1-Sieg im Bordgepäck die Heimreise antreten zu können. Dies erwarteten auch die meisten Zuschauer. Doch da spielte Andrej Gacina nicht mit, der sich schon viele prickelnde Duelle mit Boll geliefert hatte und mehrmals nur hauchdünn gescheitert war. So hatte Grenzaus Kroate den Düsseldorfer Spitzenspieler schon letzte Saison am Rande einer Niederlage gehabt, aber am Ende nach acht vergebenen Matchbällen doch den Kürzeren gezogen. Das sollte ihm nicht nochmal passieren. Gacina bot vielleicht die beste Leistung, seit er das Grenzauer Trikot trägt, und war seinem Gegner meist einen kleinen, aber entscheidenden Schritt voraus. Lediglich im dritten Satz verlor er zeitweise die Kontrolle. Am Ende durfte er aber ein alles andere als unverdientes 12:10, 11:8, 2:11, 11:8 bejubeln, durch das der TTC zurück im Spiel war. Die Halle brodelte, man wollte die Sensation.
Schon vor dem letzten Match waren zwei Stunden und 50 Minuten gespielt – und die Fans sollten noch eine Zugabe von weiteren vierzig Minuten erhalten. Der junge Masaki Yoshida wollte gegen Patrick Baum im ersten Satz zwar das Glück erzwingen, was bekanntlich fast immer schief geht, spielte anschließend jedoch – vom Grenzauer Trainerteam beruhigt und taktisch entsprechend beraten – wesentlich cleverer. Er bekam das Spiel immer besser in den Griff, während Baum zusehends nervös wurde. Yoshidas 8:11, 13:11, 11:7, 11:6 ließ ganz Grenzau in laustarken Jubel ausbrechen.
Grenzauer schließen das Jahr 2013 in der TTBL somit mit 12:8 Punkten auf dem vierten Tabellenplatz ab, könnte theoretisch aber noch von Titelverteidiger Werder Bremen eingeholt werden, der zwei Pluspunkte weniger aufweist, am Dienstag jedoch noch in Saarbrücken spielt. Die Zwischenbilanzen der Grenzauer Profis: Andrej Gacina 10:7, Masaki Yoshida 7:7, Tomas Pavelka 0:2, Lubomir Jancarik 4:4 (8:0 im Regionalliga-Team). Die Borussia (14:6 Punkte) fiel vom zweiten auf den dritten Rang zurück, verdrängt von den nun punktgleichen Frickenhausenern mit ihrem Shootingstar Koki Niwa aufgrund des besseren Spielverhältnisses. Die Bilanzen der Borussen-Spieler: Timo Boll 10:3, Patrick Baum 7:8, Kamal Sharath Achanta 8:2, Ricardo Walther 0:4.
Für die Grenzauer war es bislang eine Top-Saison: Tabellenvierter in der Bundesliga mit den Play-offs im Fokus, sechs Siege aus den letzten sieben Pflichtspielen, im ETTU-Cup weitergekommen und für das Pokal-Final 8 in Stuttgart qualifiziert – so wünscht man sich im Westerwald, dass es weitergehen möge – im neuen Jahr, aber auch noch im alten.
Es warten nämlich noch zwei große Herausforderungen in den nächsten Tagen auf die Grenzauer Profis. Zunächst könnten Sie am kommenden Freitag durch einen Sieg im südfranzösischen Istres ins Viertelfinale des ETTU-Cups einziehen und dann geht es kurz nach Weihnachten zum großen Pokalturnier in die Porsche-Arena. Im Viertelfinale trifft man dort am 28.12. auf den TTC Hagen und in einem möglichen Halbfinale könnte der Gegner dann erneut Düsseldorf heißen. Den Cup hat man zuletzt 2006 ins Brexbachtal geholt. Wer weiß, vielleicht gelingt es dem Zugbrückenteam nach einigen Jahren im grauen Mittelmaß ja auch in Stuttgart für Furore zu sorgen.
Stimmen zum Spiel
Grenzaus Cheftrainer Anton Stefko: „Unsere Jungs waren sehr gut auf den Gegner vorbereitet. Die Aufstellung hat gut gepasst und alle haben eine prima Leistung gezeigt. Und es herrschte eine tolle Atmosphäre, die Zuschauer standen in jeder Phase voll hinter uns und haben uns nach vorne getrieben. Es war ein besonderes Erlebnis für jeden, der dabei war. Vor seinem Match gegen Boll habe ich Andrej gesagt, dass er ihn diesmal schlagen wird, nachdem er letzte Saison gegen ihn nach tollem Spiel, aber acht vergebenen Matchbällen so knapp verloren hatte. Und Andrej war heute tatsächlich der bessere Mann. „Yoshi“ hat in seinem ersten Spiel gegen Boll zu hektisch gespielt, wahrscheinlich auch zu viel Respekt vor dem großen Namen gehabt. Als er gegen Baum im ersten Satz auch mit dem Kopf durch die Wand wollte, haben wir ihn taktisch dann etwas anders eingestellt und ihm klar gemacht, dass man auch gewinnen kann, ohne den Gegner durch die Wand zu schießen. Und das hat er dann super umgesetzt.“
Grenzaus Spielertrainer Tomas Pavelka: „Das war eine sehr, sehr gute Leistung von uns, an der es nichts auszusetzen gibt. Es hat sich ausgezahlt, dass wir uns die ganze Woche mit Stärken und Schwächen des Gegners befasst haben und sehr gut auf das Spiel eingestellt waren. Wahrscheinlich war es tatsächlich unser bisher bestes Spiel 2013, sogar noch einen Tick besser als der Pokalsieg in Bremen. Gegen Düsseldorf mit Boll zu gewinnen, macht einfach Spaß. Das schafft man nicht alle Tage. Ich hoffe, dass wir im ETTU-Cup und beim Pokal-Turnier in Stuttgart genau da weitermachen können, wo wir heute aufgehört haben.“
Annette Jacobs, Grenzauer Organisations-Chefin: „Das war ein Superspiel! Beim letzten Match von „Yoshi“ hatte ich Gänsehaut.“
Borussia-Trainer Danny Heister: „Ich bin fassungslos!“
Borussia-Manager Andreas Preuß: „Das war eine auf der ganzen Linie enttäuschende Leistung. Herausnehmen will ich nur Achanta, der heute eine ordentliche Vorstellung geboten hat. Wir haben nun intern einiges zu besprechen. In dieser Verfassung sind wir beim Final-8 in zwei Wochen krasser Außenseiter.“
TTC Zugbrücke Grenzau – Borussia Düsseldorf 3:2
Andrej Gacina – Patrick Baum 3:1 (5:11, 11:9, 11:3, 12:10)
Masaki Yoshida – Timo Boll 0:3 (8:11, 9:11, 3:11)
Lubomir Jancarik – Kamal Sharath Achanta 2:3 (6:11, 11:9, 11:4, 4:11, 6:11)
Andrej Gacina – Timo Boll 3:1 (12:10, 11:8, 2:11, 11:8)
Masaki Yoshida – Patrick Baum 3:1 (8:11, 13:11, 11:7, 11:6)
Restliche TTBL-Ergebnisse vom Sonntag
Post SV Mühlhausen – TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell 1:3
Mattis Burgis – Ruwen Filus 0:3 (7:11, 11:13, 2:11)
Michal Bardon – Wang Xi 0:3 (13:15, 9:11, 9:11)
Bohumil Vozicky – Philipp Floritz 3:1 (11:3, 7:11, 11:4, 12:10)
Mattis Burgis – Wang Xi 0:3 (5:11, 7:11, 8:11)
TTC matec Frickenhausen – SV Plüderhausen 3:1
Koki Niwa – Kim Jung Hoon 3:0 (11:9, 11:8, 11:9)
Wang Yang – Bai Fengtian 1:3 (10:12, 8:11, 11:8, 14:16)
Steffen Mengel – Trinko Keen 3:0 (12:10, 12:10, 11:8)
Koki Niwa – Fengtian Bai 3:0 (11:8, 13:11, 11:8)
Weitere Partien des 9. Spieltags
1.FC Saarbrücken TT – SV Werder Bremen (17.12.)
TTC Hagen – TTF Liebherr Ochsenhausen (22.12.)
Tabelle
1. TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell 18:2 +20
2. TTC matec Frickenhausen 14:6 +10
3. Borussia Düsseldorf 14:6 +8
4. TTC Zugbrücke Grenzau 12:8 +1
5. SV Werder Bremen 10:8 + 3
6. TTF Liebherr Ochsenhausen 8:10 0
7. 1. FC Saarbrücken TT 8:10 -2
8. Post SV Mühlhausen 6:14 -13
9. TTC Hagen 4:14 -11
10. SV Plüderhausen 2:18 -16