Timo Boll hat sich „auf seine alten Tage“ erstmals in die Siegerliste der European Games eintragen können. In einem spannenden Finale besiegte der 38-Jährige den Dänen Jonathan Groth mit 4:2. Han Ying musste dagegen Solja-Bezwingerin Yu Fu (Portugal) zum letztlich verdienten Turniersieg gratulieren.
Das Endspiel wurde das erwartet schwere Match für Boll und seine härteste Prüfung in Weißrussland. Denn Jonathan Groth zählt nicht zu den Lieblingsgegnern des Deutschen, der dieses Duell zuletzt im Champions-League-Halbfinale in Jekaterinburg im Düsseldorfer Trikot verloren hatte. Nach verlorenem erstem Durchgang holte Boll gegen den Ovtcharov-Bezwinger einen klaren Rückstand im zweiten Satz auf und glich aus. Bis zum 2:2 begegneten sich die beiden auf Augenhöhe, erst ab Durchgang fünf gelang es dem Rekordeuropameister, sich entscheidend abzusetzen und mit variablerem Spiel den Ton anzugeben.
Boll, der mit Problemen im rechten Oberschenkel zu kämpfen hatte, erklärte später: „Physisch hatte ich nicht die besten Voraussetzungen, konnte nicht voll belasten und keine so weiten Wege gehen. Deshalb war es heute vor allem ein Sieg der mentalen Stärke. Ich habe ganz viele Dinge probiert, die ich sonst nie mache, zum Beispiel einen Aufschlag, den ich fast nie spiele. Beim Rückschlag habe ich manchmal den Schläger gedreht, um mit dem anderen Belag zu spielen. Ich habe dauernd etwas versucht, um meinen Gegner zu verunsichern.“ Kurzkommentar von Jonathan Groth: „Es ist Timo Boll – so what.“
Maberzells 1,98-Meter-Mann Tomislav Pucar krönte ein tolles Turnier mit der vorzeitigen Qualifikation für Tokio durch seine verdiente Bronzemedaille im Herren-Einzel. Gegen den Ex-Grenzauer Kou Lei war der Kroate beim 4:1 im “kleinen Finale” eindeutig der bessere Mann.
Han Ying geht gegen überragende Yu Fu die Puste aus
Han Ying wehrte sich sechs Sätze lang nach Kräften, doch am Ende musste sie ihrer Gegnerin Yu Fu, Neuzugang des Deutschen Meisters ttc berlin eastside, zum Sieg gratulieren. Nach dem nervenaufreibenden Sieben-Satz-Krimi am Vormittag im Halbfinale gegen Yang Xiaoxin wirkte Han im Endspiel weniger frisch als die 40-jährige EM-Zweite von 2016, die sich in den letzten Monaten so stark gezeigt hat wie selten zuvor in ihrer langen Karriere.
„Sie hat heute sehr, sehr gut gespielt, ein Kompliment an meine Gegnerin“, so die DTTB-Defensivspielerin. „Allerdings war ich doch sehr müde vom anstrengenden Halbfinale und hatte zwischendurch keine richtige Kraft mehr. Sogar meine Arme haben teilweise gezittert. Jetzt bin ich natürlich erst einmal enttäuscht. Etwas später werde ich mich dann über Silber und meine Qualifikation freuen. Ich werde jetzt versuchen, mich etwas auszuruhen, und dann geht es morgen im Teamwettbewerb wieder voll weiter.“
Das dritte Olympia-Ticket ging ein wenig überraschend an die 55-jährige Materialspielerin Ni Xia Lian – die Tischtennis-Legende aus Luxemburg dominierte im „kleinen Finale“ nach 1:2-Satzrückstand mit zunehmender Spieldauer immer mehr gegen die China-Monegassin Yang Xiaoxin, der erkennbar das anstrengende Halbfinal-Match gegen Han Ying in den Knochen steckte.
Als topgesetzte Nation in beiden Mannschaftskonkurrenzen stehen die deutschen Nationalteams bereits in den Viertelfinals der Europaspiele. Han Ying, Petrissa Solja und Nina Mittelham erwarten morgen Nachmittag den Sieger der Partie Weißrussland gegen die Niederlande, während Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov und Patrick Franziska am Abend entweder auf Weißrussland oder Rumänien treffen.
Herren-Einzel, Halbfinale
Timo Boll GER – Tomislav Pucar CRO 4:1 (11:4, 11:9, 11:5, 10:12, 11:4)
Jonathan Groth DEN – Kou Lei UKR 4:0 (13:11, 11:5, 11:5, 12:10)
Spiel um Bronze
Tomislav Pucar CRO – KOU Lei UKR 4:1 (11:2, 9:11, 11:9, 11:7, 11:2)
Finale
Timo Boll GER – Jonathan Groth DEN 4:2 (6:11, 12:10, 12:14, 11:9, 11:6, 11:4)
Damen-Einzel, Halbfinale
Yang Xiaoxin MON – Han Ying GER 3:4 (11:7, 9:11, 8:11, 10:12, 11:8, 11:9, 9:11)
Ni Xia Lian LUX – Yu Fu POR 2:4 (6:11, 5:11, 11:5, 11:6, 6:11, 8:11)
Spiel um Bronze
Ni Xia Lian LUX – Yang Xiaoxin MON 4:2 (11:3, 3:11, 10:12, 11:7, 11:7, 11:8)
Finale
Han Ying GER – Yu Fu POR 2:4 (5:11, 8:11, 11:9, 11:9, 6:11, 7:11)
Europaspiele 2019: Zeitplan und Ergebnisse
Text: Dr. Stephan Roscher
Foto: ITTF